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Krankheit nach Kündigung

Krankheit nach Kündigung

Sachverhalt: Ein Mitarbeiter wird am 29. Mai 2008 um 11 Uhr in Anwesenheit von zwei Mitgliedern der Geschäftsleitung gekündigt. Er nimmt die Kündigung entgegen und bestätigt deren Empfang auf dem Doppel. Um 11:37 stempelt der Mitarbeiter aus und verlässt den Arbeitsplatz ohne Bewilligung oder Wissen der Arbeitgeberin. Am 30. Mai 2008 sucht der Mitarbeiter einen Arzt auf, welcher ihn rückwirkend ab dem 29. Mai 2008 für zwei Wochen arbeitsunfähig schreibt. Das Arztzeugnis geht am 2. Juni 2008 bei der Arbeitgeberin ein.

Frage 1:  Hat ein Arzt das Recht, ein ärztliches Zeugnis rückdatiert auszustellen?

Zum Inhalt von Arztzeugnissen hat die FMH (Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte) eine Empfehlung abgegeben. Sofern eine Rückdatierung erfolgt, muss diese erkennbar sein und gegebenenfalls ist sie mit einer Bemerkung zur Glaubwürdigkeit der Patientenaussagen zu ergänzen. Daraus darf der Schluss gezogen werden, dass rückdatierte Arztzeugnisse an sich zulässig sind. Es ist aber auch darauf hinzuweisen, dass das Ausstellen eines falschen Arztzeugnisses nach Art. 318 StGB strafbar ist. Ob eine Rückdatierung überhaupt zulässig ist, spielt für Sie als Arbeitgeber aber nur eine beschränkte Rolle. Von Bedeutung ist weniger die Rückdatierung per se, als vielmehr der Beweiswert des Arztzeugnisses insgesamt. Auch wenn eine Rückdatierung über einen längeren Zeitraum zulässig wäre, sinkt der Beweiswert eines solchen Zeugnisses deutlich (vgl. dazu Frage 4).

Frage 2:  Können wir den Arzt zwingen, das Arztzeugnis ab dem 29. Mai 2008, 1200 Uhr auszustellen, da der Mitarbeiter am Morgen gearbeitet hat und seine Kollegen bestätigen, dass er gesund war?

Meines Erachtens kann man den Arzt dazu nicht zwingen, was aber an sich unerheblich ist (vgl. dazu Frage 4).

Frage 3:  Liegt es im freien Ermessen des Arztes, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit in einem solchen Fall ohne weiteren Termin auf zwei Wochen festzulegen?

Der Arzt bestätigt beim Ausstellen des Arztzeugnisses, wie lange der Patient seiner Meinung nach arbeitsunfähig sein wird. Theoretisch ist diese Erkenntnis das Ergebnis eines objektiven medizinischen Befundes. Es ist aber klar, dass dem Arzt bei der Beurteilung ein sehr grosser Ermessensspielraum zukommt. 

Zu beachten: Bei den nachfolgenden Ausführungen gehe ich davon aus, dass weder im Einzelarbeitsvertrag des Mitarbeiters besondere Vereinbarungen getroffen wurden, noch ein Gesamtarbeitsvertrag anwendbar ist, welcher zu den hier relevanten Fragen günstigere Bestimmungen enthält.

Frage 4:  Wie sieht die Rechtslage aus bezüglich Kündigung?

Vorweg muss man sich folgenden Grundsatz vor Augen halten: Das Gesetz geht von der Regelung aus, dass ein Arbeitnehmer zu arbeiten hat (und gekündigt werden kann), wenn er gesund ist, und nicht arbeiten muss (bzw. nicht gekündigt werden kann), wenn er arbeitsunfähig ist. "Krankfeiern" ist weniger ein juristisches als vielmehr ein beweisrechtliches Problem. Das hat folgende Konsequenzen: 

a)  Der Arbeitnehmer hat nachzuweisen, dass er infolge Krankheit arbeitsunfähig ist. Üblicherweise erfolgt dies mit Hilfe eines Arztzeugnisses. Ein solches Zeugnis ist aber nur ein Beweismittel und hat zwar eine erhebliche Aussagekraft, gilt aber nicht absolut und unangreifbar. 

b)  Erbringt der Arbeitnehmer den "Beweis" der Arbeitsunfähigkeit, steht es dem Arbeitgeber offen, den Gegenbeweis zu erbringen, dass dem nicht so ist. Der Arbeitgeber kann dabei sowohl das Arztzeugnis in Zweifel ziehen, als auch andere Beweismittel (bspw. Zeugen) heranziehen, welche den Nachweis erbringen, dass das Arztzeugnis falsch sein muss und der Arbeitnehmer arbeitsfähig war. 

Je nachdem, welcher Beweis gelingen wird, ist die Kündigung gültig oder nichtig. Die Arbeitsgerichte gehen in der Regel davon aus, dass ein Arztzeugnis den Tatsachen entspricht. Bestehen aber Zweifel, ist ein Gericht nicht verpflichtet, auf den Inhalt eines Arztzeugnisses abzustellen. Dazu führte ein St. Galler Gericht aus: "Für den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit genügt in der Regel ein ärztliches Zeugnis. Indessen verbietet es das Vorliegen eines die Arbeitsunfähigkeit bescheinigenden Arztzeugnisses nicht, aufgrund anderer Beweismittel zu einem gegenteiligen Schluss zu kommen, wenn sich das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung nicht von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers überzeugen lässt." 

Die Kündigung war möglich bzw. zulässig, falls der Arbeitnehmer gesund war, andernfalls war sie nichtig. Die Antwort auf Ihre Frage hängt also einzig davon ab, was im Gerichtsfall bewiesen werden kann.

Frage 5:  Wie sollen wir uns als Arbeitgeber verhalten?

Dazu kann ich Ihnen nachfolgende Empfehlung abgeben. Es handelt sich um einen (nicht abschliessenden) Katalog von Massnahmen, welchen Sie je nach Belieben ausschöpfen können: 

a)  Teilen Sie dem Arbeitnehmer mittels eingeschriebenem Brief (Kopie per A-Post oder Fax, falls vorhanden) mit, dass:

  • Sie als Arbeitgeberin aufgrund der Umstände und der zur Verfügung stehenden Zeugen annehmen müssen, dass es sich um ein Gefälligkeitszeugnis handelt, Sie dieses nicht akzeptieren und er umgehend die Arbeit wieder aufzunehmen hat;
  • er sich umgehend beim Vertrauensarzt der Arbeitgeberin für einen Untersuch zu melden hat, falls er wirklich krank sein sollte;
  • in Zukunft ausschliesslich nicht rückdatierte Arztzeugnisse des Vertrauensarztes akzeptiert werden, für den Fall, dass die Krankheit über das Enddatum des Arztzeugnisses hinaus andauert und dessen Verlängerung notwendig wird;
  • Sämtliche weiteren Arztzeugnisse innerhalb 1 Tages nach Ausstellung an die Arbeitgeberin einzureichen sind, sei dies durch den Arbeitnehmer selbst oder direkt durch den ausstellenden Arzt (Fax);
  • Sie die Krankentaggeldversicherung (falls vorhanden) über diesen Vorfall informieren und er sich für allfällige Konsultationen bereit zu halten hat, falls diese nähere Abklärungen vornehmen will;
  • er nach Ablauf der Krankheit sich in der Unternehmung zu melden und die Arbeit per sofort wieder aufzunehmen hat;
  • sollte sich herausstellen, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig bzw. gesund war, behält man sich eine Lohnkürzung / -rückforderung vor und die ausgesprochene Kündigung ist gültig;

b)  Nehmen Sie (falls vorhanden) mit der Krankentaggeldversicherung Kontakt auf und besprechen Sie den Fall. Erstens sollte man den Krankheitsfall anmelden, und zweitens können Sie womöglich das weitere Vorgehen absprechen. Ihre Position als Arbeitgeberin wird sich (vor Gericht) deutlich verbessern, wenn auch die Krankentaggeldversicherung Sie als Arbeitgeberin in Ihren Bemühungen unterstützt, nur dann zu bezahlen, wenn auch effektiv eine Krankheit vorlag. 

c)  Sobald der Mitarbeiter wieder am Arbeitsplatz erscheint, kündigen Sie das Arbeitsverhältnis erneut, wiederum unter Zeugen. Wichtig ist dabei, dass Sie den Gekündigten bezüglich Krankentaggeldversicherung (falls vorhanden) über seinen Anspruch auf Übertritt in eine Einzelversicherung aufklären, falls die allgemeinen Versicherungsbedingungen eine solche Möglichkeit vorsehen. Üblicherweise stellen die Versicherungen dazu Merkblätter zur Verfügung. 

Falls der Mitarbeiter bis auf weiteres krank ist, erlischt der Kündigungsschutz nach 30 Tagen (1. Dienstjahr), 90 Tagen (2. bis 5. Dienstjahr) oder 180 Tagen (ab 6. Dienstjahr). Nach Ablauf dieser Frist können Sie den Mitarbeiter trotz Krankheit kündigen. 

Falls der Mitarbeiter die Arbeit trotz fehlendem Arztzeugnis nicht wieder aufnimmt, kündigen Sie den Arbeitsvertrag per Einschreiben und fordern Sie ihn auf, die Arbeit sofort wieder aufzunehmen. Falls kein Stellenantritt erfolge, gehe man davon aus, dass der Arbeitnehmer den Arbeitsplatz ungerechtfertigt fristlos verlassen habe, was zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. 

d)  Prüfen Sie, ob irgendwelche betriebsinternen oder organisatorische Massnahmen notwendig oder sinnvoll sind (Mitarbeiterinformation, Meldung SUVA (Berufskrankheit) Sperren von Zugangscodes, etc.)

Frage 6:  Ist unsere Annahme richtig, dass wir den Arbeitnehmer auffordern können, unseren Vertrauensarzt zu besuchen (die Betriebsordnung gibt uns diese Möglichkeit)?

Diese Annahme ist richtig. Das Recht zur Anordnung einer vertrauensärztlichen Untersuchung wird häufig auch im Einzelarbeitsvertrag oder in Angestelltenreglementen festgehalten. In begründeten Fällen ist der Arbeitgeber aber auch berechtigt, ohne vertragliche Vereinbarung oder einer Regelung in der Betriebsordnung die Konsultation eines Vertrauensarztes anzuordnen. Ihr Fall scheint mir durchaus ein solcher "begründeter Fall" zu sein, weil die Umstände die Vermutung zulassen, dass sich der Mitarbeiter "in die Krankheit geflüchtet" hat.

Frage 7: Was geschieht, wenn der Mitarbeiter die Aufforderung zur Konsultation verweigert?

In diesem Fall teilen Sie dem Mitarbeiter per Einschreiben (Kopie A-Post, Fax) mit, dass:

  • seine Arbeitsunfähigkeit nicht belegt bzw. nachgewiesen ist;
  • die am 29. Mai 2008 ausgesprochene Kündigung Gültigkeit hat;
  • er umgehend am Arbeitsplatz zu erscheinen habe, andernfalls man von einem ungerechtfertigten fristlosen Verlassen des Arbeitsplatzes ausgehe, womit das Arbeitsverhältnis per sofort endet.

Frage 8: Wie soll ein Arbeitgeber reagieren, wenn der Vertrauensarzt ein anderes Zeugnis ausstellt als der erstkonsultierte Arzt? Gibt es hier rechtliche Bestimmungen?

Da Arztzeugnisse in aller Regel nur „Krankheit“ oder „Unfall“ als Ursache angeben, wird vermutlich nicht ersichtlich sein, weshalb der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Unterschiedliche Arztzeugnisse ergeben sich daher wohl aufgrund einer unterschiedlichen Dauer oder eines anderen Grades der Arbeitsunfähigkeit. 

Wie bereits erwähnt (vgl. die Vorbemerkung zu Frage 4), geht es hier weniger um eine juristische als vielmehr eine beweisrechtliche Frage. Wenn zwei unterschiedliche Arztzeugnisse vorliegen steht vorweg einmal fest, dass die Situation unklar ist. Von Bedeutung ist aber nach wie vor einzig die Frage, ob der Angestellte arbeitsunfähig ist oder nicht. 

Welches Arztzeugnis ist nun für den Arbeitgeber verbindlich? Meines Erachtens darf der Arbeitgeber einem Arztzeugnis seines Vertrauensarztes mehr vertrauen als einem Arztzeugnis von einem beliebigen Arzt. Es entspricht ja gerade dem Wesen eines Vertrauensarztes, dass der Arbeitgeber darauf vertrauen darf, richtige Auskünfte zu erhalten. Andernfalls wäre der Anspruch eines Arbeitgebers auf Untersuchung durch den Vertrauensarzt sinnlos.

Wohlgemerkt ist aber auch die Aussage eines Vertrauensarztes nicht sakrosankt! Ergeben weitere Abklärungen (bspw. die Konsultation bei einem dritten Arzt), dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig war, auch wenn der Vertrauensarzt zu einem anderen Schluss kommt, besteht keine Arbeitspflicht und die Kündigungsfrist steht still. 

Unterscheiden sich die beiden Arztzeugnisse, empfehle ich Ihnen als Arbeitgeber, beim Vertrauensarzt schriftlich nachzufragen, weshalb er zu einem anderen Ergebnis gekommen ist. Mit jener (schriftlichen) Begründung sind Sie als Arbeitgeber besser in der Lage, die konkrete Situation abzuschätzen und über das weitere Vorgehen zu entscheiden: 

a) Entscheid, dass die Kündigungsfrist läuft und das Arbeitsverhältnis endet, was zur erneuten Kündigung und/oder Einstellung der Lohnfortzahlung führt; 

b) Entscheid, dass die Arbeitsunfähigkeit begründet ist, womit die Kündigung ungültig ist, bzw. die Kündigungsfrist still steht und das Arbeitsverhältnis andauert. 

c) Vornahme weiterer Abklärungen (Besprechung mit Arbeitnehmer im Beisein der Ärzte, weitere Konsultationen etc.).

Ergänzende Bemerkungen

Die vorliegende Thematik ist im Arbeitsrecht ein häufiges Problem. Der Arbeitgeberverband Rheintal lancierte dazu in Zusammenarbeit mit dem Ärzteverein Rorschach-Rheintal ein Projekt. Ziel war es unter anderem, eine möglichst befriedigende Lösung des Problems der "Gefälligkeitszeugnisse" zu finden. Sie finden weitere Informationen dazu auf der Webpage des Arbeitgeberverbandes Rheintal (www.agv-rheintal.ch), dort unter der Rubrik "Projekte": Gesundheits- und Absenzenmanagement. 

Altstätten, den 6. Juni 2008
Dr. iur. Christoph Senti, Rechtsanwalt
Advokaturbüro Frei Steger Grosser Senti, Altstätten