Schweiz-EU
Wegfall der Bilateralen käme Ostschweiz teuer zu stehen
Die Kündigung der bilateralen Verträge hätte langfristig bedeutende Auswirkungen auf den Wohlstand, insbesondere in der Ostschweiz.
10. August 2020
Am 27. September 2020 stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die Kündigungsinitiative ab. Eine Annahme der Initiative würde den bilateralen Weg mit der EU beenden. Die Kündigung der bilateralen Verträge hätte langfristig bedeutende Auswirkungen auf den Wohlstand in der Schweiz, speziell in der stark exportorientierten Ostschweiz. Das zeigt eine Studie der IHK St.Gallen-Appenzell und der IHK Thurgau. Aus diesem Grund empfehlen die beiden IHK ein klares Nein zur Kündigungsinitiative.
Die von einem Komitee aus SVP- und AUNS-Vertretern eingereichte Initiative «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)» kommt am 27. September 2020 zur Abstimmung. Die Initiative zielt auf eine Steuerung der Zuwanderung aus Ländern der EU, was einer Aufhebung der Personenfreizügigkeit gleichkommt. Da die sieben Verträge der Bilateralen I über eine Guillotine-Klausel miteinander verbunden sind, würde damit auch eine Kündigung der sechs übrigen Verträge ausgelöst. Die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau haben die Auswirkungen einer Kündigung der bilateralen Verträge auf die Schweiz und speziell die Ostschweiz durch das Forschungsinstitut BAK Economics untersuchen lassen. Dabei zeigt sich: Die Bilateralen I sind zentral für die langfristige Sicherung des hohen Wohl- und Lebensstandards in der Schweiz.
Publikationen zum Thema
Wachstumspotenzial langfristig eingeschränkt
Die Bilateralen I ermöglichen der Schweizer Wirtschaft einen weitgehenden Zugang zum Binnenmarkt der EU. Pro Kopf profitiert die Schweiz so stark wie kein anderes europäisches Land von diesem Marktzugang, und dies wohlgemerkt als Nicht-EU-Mitglied. Umso einschneidender wäre ein Wegfall derjenigen Verträge, welche die Beziehungen zum EU-Binnenmarkt regeln.
In der Studie werden die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen einer Kündigung der Bilateralen I für die Schweiz im Jahr 2040 auf ein um 6.5% tieferes BIP geschätzt. Pro Person entspricht dies rund 4280 Franken pro Jahr – eine beachtliche und vor allem anhaltende Wohlstandseinbusse, wie Alessandro Sgro, Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell erklärt: «Ein Wegfall des bilateralen Wegs wäre nicht ein kurzer, einmaliger Schock für die Schweizer Wirtschaft, sondern eine anhaltende, starke Schwächung unseres Wohlstands.» Diese Schwächung würde sich zudem nicht nur bei exportorientierten Unternehmen zeigen: «Diese 4280 Franken pro Jahr werden Herr und Frau Schweizer im Portemonnaie spüren – und ein dadurch rückläufiger Konsum trifft auch das hiesige Gewerbe», so Alessandro Sgro weiter.
Ostschweiz überdurchschnittlich betroffen
Die Ostschweiz wäre dabei noch stärker von einer Kündigung der bilateralen Verträge betroffen. In den Kantonen St.Gallen, Thurgau sowie beiden Appenzell wird in der Studie bis 2040 gar mit einer Wohlstandseinbusse von 7.4% des BIP gerechnet, oder anders ausgedrückt: rund 4500 Schweizer Franken pro Person und Jahr. «Durch die Nähe zu den wirtschaftlich starken EU-Staaten Deutschland und Österreich ist die Ostschweizer Wirtschaft noch stärker mit dem europäischen Binnenmarkt verflochten», erklärt Alessandro Sgro diesen nochmals grösseren prognostizierten Rückgang. Zudem wären gemäss Studie zwar alle Branchen durch die Kündigung der Verträge betroffen – für die in der Ostschweiz traditionell starke Industrie wären die Folgen indes besonders gravierend. Insbesondere Unternehmen und Arbeitsplätze in den MEM-Branchen und dem Fahrzeugbau wären in ihrer Existenz bedroht. Immerhin beschäftigt dieser Sektor in der Kernregion Ostschweiz 8% der Arbeitnehmenden. Im schweizweiten Vergleich ist das überdurchschnittlich.
Nein zur Kündigungsinitiative, Ja zum bilateralen Weg mit der EU
Für die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau ist damit klar, dass der bilaterale Weg mit der EU für die Ostschweiz von zentraler Bedeutung ist. «Die Ostschweiz ist auf tragfähige und funktionierende Beziehungen zur EU angewiesen. Gerade in der aktuellen, unsicheren Zeit wäre es fatal, diese funktionierenden Beziehungen ohne Plan B aufs Spiel zu setzen», fasst Markus Bänziger, Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell die Schlüsse aus der Studie zusammen. Jérôme Müggler, Direktor der IHK Thurgau, betont ebenfalls die Wichtigkeit des bilateralen Wegs: «Ein Ja zum bilateralen Weg ist auch ein Ja zu Wohlstand, Innovation und gemeinsamen Lösungen.» Aus diesen Gründen lehnen die IHK St.Gallen-Appenzell sowie die IHK Thurgau die Kündigungsinitiative klar ab. Der Abstimmungskampf wird mit einer gemeinsamen Gegenkampagne der beiden IHK begleitet. Am 27. September 2020 empfehlen die beiden Ostschweizer Industrie- und Handelskammern ein klares Nein zur Kündigungsinitiative.