Wachstum
Warum noch wachsen, wenn es uns schon gut geht?
Die wirtschaftliche Entwicklung als Gegenstand der Debatte über Ressourcenverbrauch und Zuwanderung.

7. März 2025, Markus Bänziger
Die Schweiz gilt als eines der innovativsten Länder der Welt, mit steigender Produktivität und wachsenden Reallöhnen. Ausreichend, finden viele – während die einen ökologische Grenzen ins Feld führen, fordern andere eine Begrenzung der Zuwanderung. Dabei steht viel auf dem Spiel: Ohne wirtschaftliche Dynamik droht der Verlust von Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Sicherheit.
Im internationalen Vergleich steht die Schweiz gut da. Die Reallöhne sind seit dem Jahr 2000 um 11,7 % gestiegen. Gleichzeitig ist die Arbeitsproduktivität gestiegen, bei sinkendem Arbeitseinsatz. Die Einkommen sind dabei relativ gleichmässig verteilt. Der «American Dream» ist heute eher ein «Swiss Dream»: Nirgendwo sonst gibt es eine so hohe soziale Mobilität, die es Jugendlichen aus bescheidenen Verhältnissen ermöglicht, in die reichsten Schichten der Gesellschaft aufzusteigen.
Der Schweiz geht es insgesamt gut
Der Schweiz geht es insgesamt also gut. Daher wird in jüngster Zeit auf der linken wie auch auf der rechten Seite des politischen Spektrums immer häufiger hinterfragt, ob es tatsächlich mehr Wachstum brauche. Während die einen vor allem in ökologischen Grenzen eine Rechtfertigung für Beschränkungen sehen, machen andere die Zuwanderung für
sämtliche Probleme verantwortlich. Politische Entscheide spiegeln diese Skepsis: Widerstand gegen eine vermeintlich «zubetonierte» Schweiz und die Überzeugung, bestehender Wohlstand müsse lediglich anders verteilt werden, treten stärker zutage. Zu beobachten war dies etwa bei der Vorlage zur Sicherung der Nationalstrassen, die auf Ablehnung stiess, während gleichzeitig ein Ja zur 13. AHV-Rente fiel – zulasten der jüngeren Generationen. Und bereits aufgegleist ist die sogenannte Nachhaltigkeitsinitiative der SVP, welche einmal mehr die Kündigung der Personenfreizügigkeit anstrebt und damit eine scharfe Eindämmung von Arbeitsmigration mit sich bringen würde. Tatsächlich sind viele natürliche Ressourcen endlich. Intuitiv erscheint es daher logisch, dass irgendwann die «Grenzen des Wachstums» erreicht werden – eine These, die bereits 1972 im berühmten Bericht des Club of Rome aufgestellt wurde. Und da das Wirtschaftswachstum historisch an den natürlichen Ressourcenverbrauch gekoppelt ist, müssten die Preise für jene endlichen Ressourcen eigentlich
kontinuierlich steigen. Warum das jedoch nicht eingetreten ist, liegt am unerschöpflichen Erfindergeist der Unternehmen, welche herausfinden, wie sich vorhandene Ressourcen effizienter nutzen lassen, neue Materialien entwickelt oder Prozesse ressourcenschonender gestaltet werden können.
«Wachstum bleibt der Motor für verantwortungsvollen Wandel, der wirtschaftlichen Erfolg mit ökologischem Bewusstsein verbindet.»

Wachstum als Grundlage für Wohlstand
Niemand zwingt uns zu Wirtschaftswachstum – es gibt kein staatlich verordnetes Programm, das Jahr für Jahr ein bestimmtes Wachstum vorschreibt. Vielmehr entspringt es den freien Entscheidungen und Initiativen von Menschen und damit Unternehmen, angetrieben von dem Bestreben nach Verbesserung der persönlichen Lebenssituation – unabhängig davon, auf welchem Wohlstandsniveau man sich befindet. Damit entwickeln Menschen in Unternehmen laufend bessere Produkte und Dienstleistungen. Dieser Innovationsdrang führt zu immer effizienteren Technologien und Prozessen, die Ressourcen schonen und damit den Weg hin zu CO2-Neutralität ermöglichen. Gerade in diesem Zusammenspiel liegt das Potenzial für eine Ostschweiz, die nicht nur prosperiert, sondern auch kommenden Generationen intakte Lebensgrundlagen sichert.
Dennoch darf das bisher Erreichte nicht als selbstverständlich angesehen werden. Ohne kontinuierliche Verbesserung droht der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Mehr Wettbewerb, stärkere Internationalisierung und steigende wirtschaftliche Abhängigkeiten sind die Herausforderungen der Zukunft. Um Schritt zu halten, müssen wir besser werden. Deshalb müssen wir in Bildung, Technologie und Innovation investieren – und genau dafür brauchen wir Wachstum.
«Jeder zweite Franken wird im Export erwirtschaftet.»
Markus Bänziger
Als kleine, offene und stark exportorientierte Volkswirtschaft ist die Schweiz zudem auf einen gesicherten und verlässlichen Zugang zu grossen Absatzmärkten angewiesen. Europa ist und bleibt dabei der wichtigste. Der Zugang zum europäischen Markt ist für die Schweiz daher von Bedeutung. Denn jeder zweite Franken wird im Export erwirtschaftet. Doch zentrale Kooperationsprojekte wie die Bilateralen III haben es auch deshalb schwierig, weil sich die Notwendigkeit wirtschaftlichen Wachstums eben schwer erklären lässt.
Es gelingt, die wirtschaftliche Entwicklung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln
Neben der globalen Konkurrenz stellt die Alterung der Bevölkerung für die Schweiz eine der grossen Herausforderungen dar. Dieser in der Geschichte erstmalige demografische Wandel führt einerseits zu steigenden Kosten im Gesundheitswesen und in der Altersvorsorge und entzieht der Wirtschaft andererseits die wichtigste Ressource: Arbeitskräfte. Ohne Wachstum wird es nicht möglich sein, Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit zu tätigen oder die steigenden Sozialkosten zu decken.
Innovation ist dabei die Grundlage einer nachhaltigen Wirtschaft – ob in Bezug auf den Ressourcenverbrauch oder zur Sicherung der sozialen Wohlfahrt. Nur so konnte die Industrie in der Schweiz seit 1990 ihren Treibhausgasausstoss um fast die Hälfte senken – bei gleichzeitiger Verdopplung der Wertschöpfung. Hier zeigt sich ein historischer Trendbruch: Während Wachstum früher meist unmittelbar mit höherem Ressourcenverbrauch und Emissionsausstoss verknüpft war, gelingt es dank neuer Technologien, Kreislaufwirtschaft und des Einsatzes erneuerbarer Energien, die wirtschaftliche Entwicklung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.
Wer einmal nach dem Staat ruft…
Wer selbst Subventionen, die Einschränkung von freiem Personenverkehr und Schutz vor ausländischer Konkurrenz fordert, der darf sich nicht wundern, wenn wachstumsfeindliche Vorstösse Zuspruch gewinnen. Wer an einem Ort nach dem Staat ruft, muss sich nicht wundern, wenn an anderen Stellen niemand mehr die Forderungen nach Sparen und Regulierungsabbau für glaubwürdig hält.
Stattdessen sollten wir uns auf unsere Stärken konzentrieren. Hier in der Ostschweiz haben wir eine Region mit hoher Lebensqualität, vielfältigen Wirtschaftsstrukturen und einem Wohn- und Arbeitsumfeld, das Freiraum für unterschiedlichste Lebensentwürfe bietet. Unternehmen profitieren von einer starken industriellen Basis sowie herausragenden Bildungsinstitutionen. Erholungsräume liegen in unmittelbarer Nähe, Bauland ist im Vergleich zu den grossen Zentren erschwinglicher und die Region ist geprägt von einem konstruktiven Miteinander. Dieser «softurbane» Charakter zieht Unternehmen mit Weltoffenheit und Zukunftsglauben an, welche den Handlungsfreiraum suchen, den städtische
Zentren nicht bieten können.
«Statt Wachstum mit Vorschriften und ausufernder Bürokratie zu bremsen, sollten wir anerkennen, dass unternehmerische Innovationskraft und prosperierende wirtschaftliche Entwicklung sich gegenseitig bedingen und die Voraussetzung für eine ressourcenschonende Versorgung der Menschen sind.»
Markus Bänziger
Viele der Probleme, die Wachstumsskeptiker anführen, können mit dieser Ausgangslage durch gezielte Lösungen angegangen werden. Diese liegen jedoch nicht in einem generellen Verzicht, sondern vielmehr in der Ausgestaltung des Wachstums: eines, welches vermeidet, auf Kosten anderer und kommender Generationen zu leben. Statt Wachstum mit Vorschriften und ausufernder Bürokratie zu bremsen, sollten wir anerkennen, dass unternehmerische Innovationskraft und prosperierende wirtschaftliche Entwicklung sich gegenseitig bedingen und die Voraussetzung für eine ressourcenschonende Versorgung der Menschen sind – und genau darin liegt der Schlüssel, um unseren Wohlstand zu sichern und die Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten.