Schriftenreihe Arbeitsmigration
Verkehrsinfrastruktur – belastet oder überlastet?
Pendlerchaos, volle Züge und Stau im Feierabendverkehr – Mobilität wird zur Geduldsprobe. Doch was steckt wirklich hinter der Überlastung unserer Verkehrswege?

9. April 2025
Zwischen 2000 und 2019 (vor der Corona-Pandemie) stiegen die Verkehrsleistungen gemessen in Personenkilometern im privaten motorisierten Strassenverkehr um 30%, im öffentlichen Verkehr um insgesamt 38%, bei der Eisenbahn sogar um 72%.1 Die Staus auf Nationalstrassen aufgrund von Verkehrsbelastung haben sich zwischen 2000 und 2023 fast verneunfacht2, was jährlich volkswirtschaftliche Kosten von 3 Milliarden Franken verursacht.3 Die Zuwanderung verschärft diese Entwicklung, ist aber nicht allein dafür verantwortlich.
Was sind die Hauptursachen für Verkehrsüberlastungen?
Die Verkehrsleistung in der Schweiz wächst schneller als die Bevölkerung (Abbildung 1).4 Das steigende Mobilitätsbedürfnis ist das Resultat vieler Einflussgrössen: die dynamische wirtschaftliche Entwicklung, die zunehmende Mobilität der alternden Bevölkerung sowie das veränderte Freizeitverhalten.5 Das bedeutet: Wenn die Wirtschaft läuft, Arbeitsplätze geschaffen und in der Freizeit Dienstleistungen und Güter konsumiert werden, entsteht Verkehr – über alle Verkehrsträger hinweg.6 Die steigende Nachfrage nach Mobilität ist Auslöser, jedoch nicht alleiniger Grund für die Verkehrsüberlastung hierzulande. Denn: Angebotsseitig hinkt der Ausbau auf Schiene und Strasse trotz hoher Investitionen hinterher.7
Wie verteilt sich die Verkehrsbelastung in der Schweiz?
Die Verkehrsbelastung in der Schweiz ist nicht gleichmässig verteilt. Die Mehrbelastung akzentuiert sich an neuralgischen Punkten während der Stosszeiten. Die Fahrzeugkilometer auf Nationalstrassen sind doppelt so schnell angestiegen als die Bevölkerungszahl. Die Fahrleistung auf den übrigen Strassen ist deutlich weniger stark gewachsen.8 Der öffentliche Verkehr ist insbesondere im städtischen Nahverkehr sowie im Regionalverkehr auf stark frequentierten Streckenabschnitten und in Stosszeiten «überlastet» (per Definition des Bundes bei über 90% Sitzplatzauslastung).9 2023 lag die durchschnittliche Sitzplatzbelegung der SBB im Fernverkehr hingegen nur bei 30%, im Regionalverkehr sogar nur bei 22%.10
Die gesamte Analyse, detaillierte Resultate unserer Mitgliederumfrage und die umfassende Position der IHK St.Gallen-Appenzell finden sie in unserer Schriftenreihe:
Die Position der IHK St.Gallen-Appenzell im Thema Arbeitsmigration
Die Personenfreizügigkeit mit der EU aufrechterhalten
Ohne ausländische Arbeitskräfte geht es nicht. Heute nicht und schon gar nicht in der Zukunft. Die Personenfreizügigkeit mit der EU stellt dabei eine unbürokratische, arbeitsmarktorientierte Zuwanderung sicher. Das ist ein entscheidender Vorteil für die Ostschweizer Wirtschaft (vgl. Grafik): Wer über die Personenfreizügigkeit in die Schweiz kommt, braucht hier eine Stelle oder ausreichend Mittel, um sich selbst zu finanzieren.
Den inländischen Arbeitsmarkt stärken
Die Schweiz ist als Arbeitsland attraktiv. Das soll auch so bleiben. Arbeitskräfte werden rar, nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa. Umso wichtiger werden eine hohe Arbeitsmarktbeteiligung und eine produktive Wirtschaft. Dafür muss sich Arbeit lohnen – hohe Pensen dürfen kein steuerlicher Nachteil sein. Flexible Arbeitsmodelle, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine bessere Integration von älteren Personen in den Arbeitsmarkt können diesen zusätzlich stärken.
Die gesellschaftlichen Herausforderungen angehen – rasch und gezielt
Knapper Wohnraum und überlastete Verkehrsinfrastruktur sind grosse Herausforderungen unserer Zeit. Die Zuwanderung verschärft solche Herausforderungen, sie ist aber nicht deren einziger Treiber. Deshalb kann eine Einschränkung der Zuwanderung auch nicht die einzige Lösung sein. Stattdessen braucht es eine breite Palette an Massnahmen, um Wohnraum und Mobilität fit für die Zukunft zu machen.
Wie wird sich der Mobilitätsbedarf in Zukunft entwickeln?
Bis 2050 wird die Verkehrsleistung im Personenverkehr um 11% gegenüber 2017 steigen, während das Bevölkerungswachstum auf 21% geschätzt wird. Das wachsende Mobilitätsbedürfnis wird jedoch nicht nur durch die Bevölkerung angetrieben, sondern auch durch Wirtschaftswachstum, technologische Entwicklungen und die individuellen Mobilitätsbedürfnisse. Verschiebungen der Verkehrsströme werden erwartet: Homeoffice und die alternde Bevölkerung könnten den Pendelverkehr verringern, während Freizeitverkehr weiter zunimmt. Folglich dürfte die morgendliche Verkehrsbelastung weniger stark wachsen, während abends die Belastung durch den beruflichen Rückreiseverkehr und Freizeitaktivitäten höher bleibt.11
1 BFS (2024, o)
2 BFS (2024, p); Hinweis: Ein Teil des Anstiegs der Anzahl Staustunden ist wahrscheinlich auf eine bessere Erfassung des Verkehrsgeschehens zurückzuführen.
3 ARE (2022, a)
4 BFS (2024, p)
5 ARE (2016)
6 Siehe auch EcoOst-Standpunkt: «Die Ostschweiz braucht eine gemeinsame Mobilitätsstrategie» (2019)
7 Siehe auch IHK-Zoom «Mobilität» (2024)
8 ASTRA (2021)
9 ARE (2022, b)
10 SBB (2024)
11 ARE (2022, c)