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Teile und verliere

Die Ostschweiz nach der Ablehnung des Expo-Planungskredites Teile und verliere

Dr. Kurt Weigelt

Erfolg hat in der Politik, wer seine Interessen konsequent, mit Nachdruck und geschlossen vertritt. Hier hapert es in der Ostschweiz. Sowohl Bundesparlamentarier als auch die kantonalen Politiker müssen sich für gemeinsame Positionen und Projekte engagieren. Die Ostschweizer Wirtschaftsverbände wollen selbst einen Beitrag leisten und den Schulterschluss zwischen der IHK Thurgau und der IHK St. Gallen-Appenzell stärken. Dazu gehört unter anderem eine gemeinsame wirtschaftspolitische Grundlagenarbeit.

Unsere Referenten an der Jubiläums-Generalversammlung der IHK St. Gallen-Appenzell brachten es auf den Punkt: Die Zukunft gehört nicht dem Beschreiben von Problemen, dem Jammern, sondern dem Besinnen auf die eigenen Stärken und dem lösungsorientierten Handeln. Dies gilt auch für die Verkehrspolitik. Freuen wir uns also mit der gesamten Schweiz über den grossartigen neuen Gotthard-Tunnel. Wir können zu Recht stolz sein. Das Bauwerk spricht nicht nur für unsere Ingenieure und Mineure. Nicht weniger eindrucksvoll sind unsere politischen Prozesse. In unseren Nachbarländern führen Grossprojekte zu langjährigen, teils gewalttätigen Auseinandersetzungen. In der direkten Demokratie entscheidet das Volk an der Urne. Die Verlierer des politischen Prozesses akzeptieren das Resultat. Punkt. Und dies gilt auch für diejenigen, die bei den wirklich wichtigen Eisenbahnprojekten wie dem Gotthard-Tunnel und den Abstimmungen zur Bahn 2000, zur Neat, dem FinöV oder der FABI-Vorlage regelmässig leer ausgehen. Zum Beispiel die Ostschweiz. Eine Feststellung, die nichts mit Jammern zu tun hat. Vielmehr soll diese uns motivieren, nach den Ursachen der permanenten Niederlagen zu fragen und daraus diejenigen Konsequenzen abzuleiten, die das geforderte lösungsorientierte Handeln erst möglich machen.

Periphere Vernachlässigung

Von Leopold Kohr («small is beautiful») stammt die Erkenntnis, dass sich Regierungsinteressen, eheliche Treue und Erdanziehung mit dem Quadrat der Distanz verringern. Dies beweist auch die Schweizer Eisenbahnpolitik. Das Eisenbahngesetz von 1852 legte fest, dass die Eisenbahnen durch Private oder Kantone gebaut und betrieben werden sollten. Der Privatbau ermöglichte den unverzüglichen Bau der Eisenbahnlinie von Winterthur nach Rorschach, dies entgegen den Empfehlungen der Experten des Bundesrates. Dies änderte sich mit der Verstaatlichung der Schweizer Bahnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Seither konzentriert sich die eisenbahnpolitische Macht in Bern. 1923 liquidierte diese die SBB-Kreispostdirektion IV in St. Gallen, 1925 die Eisenbahnwerkstätten in Rorschach. Heute feiert die Schweiz Hochgeschwindigkeitszüge, die Ostschweiz diskutiert über den Doppelspurausbau im Rheintal. Soweit die Fakten. Und nun zu den Lösungen: Erfolg hat in der Politik nur, wer seine Interessen konsequent, mit Nachdruck und geschlossen vertritt. In der Verantwortung stehen damit unsere National- und Ständeräte. Ihre Pflicht ist es, die Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler wahrzunehmen. Und dies nicht nur als Landwirt, Gewerkschafter oder Unternehmer. Sondern auch als Ostschweizerin und Ostschweizer.

Gemeinsame Positionen

Voraussetzung dazu sind gemeinsame Positionen. Und genau hier hapert es. Die Ostalpenbahn ist nicht zuletzt daran gescheitert, dass sich die einzelnen Regionen der Ostschweiz nicht auf ein gemeinsames Projekt einigen konnten. Die einen unterstützten den Gotthard, andere träumten vom Lukmanier-Tunnel, wieder andere kämpften für die Splügenkonzession, dann gab es das Tödi-Greina-Projekt und zuletzt diskutierte man über eine Bernardino-Variante. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Dies gilt auch in der Politik. Mit anderen Worten, in der Verantwortung steht nicht nur die nationale, sondern auch die kantonale Politik. Ein geschlossenes Auftreten in Bundesbern setzt voraus, dass die Ostschweizer Regierungen und die kantonalen Parlamente gemeinsame Positionen und Projekte verabschieden.

Mentale Kleinräumigkeit

Nur, machen wir uns nichts vor. Dem Wunsch nach einer vertieften Zusammenarbeit der Ostschweizer Kantone steht die Erfahrung entgegen, dass wir in der Regel bereits auf regionaler Ebene keine gemeinsamen Lösungen zustande bringen. So scheiterte beispielsweise die Zusammenführung der Kaufmännischen Ausbildung von Sargans und Buchs vor wenigen Jahren am Widerstand der politischen Öffentlichkeit. Als unüberbrückbar erwies sich nicht die Fahrdistanz von zehn Minuten zwischen den beiden Standorten, sondern der historische Graben zwischen Werdenberg und dem Sarganserland. Bei den Diskussionen zur Spitallandschaft erklärte ein Rheintaler Kantonsrat, dass es undenkbar sei, dass eine Frau aus Altstätten ihr Kind in Grabs auf die Welt bringe. Zwischen Bodensee und Säntis kämpfen vier Tourismusorganisationen um die gleichen Kunden. Dies getreu dem Grundsatz: Teile und verliere. Vergleichbares zeigt sich auch bei den Diskussionen rund um die künftige Organisation unserer Fachhochschulen. Vieles spricht dafür, dass das Expo-Projekt nicht zuletzt an dieser mentalen Kleinräumigkeit gescheitert ist. Politische Exponenten, die bei jeder Gelegenheit ihre regionalen und kantonalen Befindlichkeiten bewirtschaften, taugen nur bedingt als Botschafter eines auf die Ostschweiz in ihrer Gesamtheit ausgerichteten Grossprojektes.

Schulterschluss der Wirtschaft

Gefordert sind aber nicht nur die politischen Entscheidungsträger. Nicht weniger gross ist der Handlungsbedarf auf der Seite der Wirtschaftsverbände. Auch wir funktionieren brav innerhalb traditioneller Regionen und entlang kantonaler Grenzen. Nicht anders als bei den kantonalen Regierungen hat aber das Expo-Projekt auch in unseren Reihen einiges bewegt. Der Kantonale Gewerbeverband St. Gallen, der Thurgauer Gewerbeverband, die IHK Thurgau und die IHK St. Gallen-Appenzell verabschiedeten vor den Volksabstimmungen eine gemeinsame Abstimmungsempfehlung. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein grosser für unsere Verbandslandschaft. Bereits Tradition haben die gemeinsamen EcoOst-Veranstaltungen von IHK Thurgau und IHK St. Gallen-Appenzell. Unsere Absicht ist es, den Schulterschluss der beiden Vereinigungen in den kommenden Jahren zu stärken. Dazu gehört neben dem bereits etablierten EcoOst-Symposium und der EcoOst-Trendfabrik künftig auch eine gemeinsame wirtschaftspolitische Grundlagenarbeit. Geplant ist weiter, mit einer neuen Veranstaltungsreihe die kantonsübergreifende Vernetzung mit der Politik zu stärken. Entweder wir finden als Ostschweiz einen gemeinsamen Weg in die Zukunft oder wir verlieren.