Wachstum

Schweizer Unternehmen fordern einen schlanken Weg zu Netto-null-Emissionen

Der Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft steht ein Kraftakt bevor.

7. März 2025, Alexander Keberle

Bis 2050 soll das Ziel Netto-null Emissionen erreicht werden. Unternehmen setzen sich ambitionierte Ziele, um klimaneutral zu werden. Dabei braucht es Mut von Unternehmerinnen, um Innovationen voranzutreiben, das Engagement der Gesellschaft, um mehr Bewusstsein zu schaffen, und den Gestaltungswillen der Politik, um attraktive Rahmenbedingungen zu entwickeln.

Nachhaltigkeit ist eine Toppriorität der Schweizer Unternehmen. Die Transition ist für die Gesellschaft und die Wirtschaft eine grosse Herausforderung und bedarf eines ambitionierten, effizienten und transparenten Vorgehens. Zu Recht fordern Gesellschaft und Politik verlässliche Zahlen. Doch kürzlich ist eine Debatte um das Verhältnis von Kosten zu Nutzen von Nachhaltigkeitsberichterstattung entbrannt. Dies nicht nur in der Schweiz, sondern gerade auch in der EU. Der grüne deutsche Wirtschaftsminister Habeck hat kürzlich sogar gefordert, die Regulierungen «mit der Kettensäge wegzubolzen» – erstaunlich klare Worte. Hintergrund sind neue Regulierungen und wachsende Anforderungen. Unternehmen sehen sich zunehmend gefordert, ihre nachhaltigen Praktiken transparent nachzuweisen – grundsätzlich eine positive Entwicklung, da es die Verantwortung und das Engagement für Nachhaltigkeit verstärkt. Doch Reporting bindet Mittel. Mittel, die dann für die eigentlichen nachhaltigen Projekte fehlen.

Alexander Keberle, Bereichsleiter Energie, Infrastruktur und Umwelt bei economiesuisse, hat bei den Mitgliedsunternehmen des Wirtschaftsverbandes nachgefragt, vor welchen Herausforderungen sie aktuell stehen. Dabei zeigt sich, dass sich Schweizer Unternehmen von den Reportingpflichten belastet fühlen. Deshalb fordert Keberle: Ja zu klaren Nachhaltigkeitszielen – Nein zu einem Papierkrieg für die Nachhaltigkeit.

Bürokratie stellt eine bekannte und zunehmende Herausforderung dar. Problematisch wird der regulatorische Trend, wenn die Politik keinen Konsens zu förderlichen Massnahmen zu schaffen vermag und stattdessen immer stärker auf umfangreiche Regulierung, Berichterstattung und Datensammlung gesetzt wird – anstatt auf echte Wirkung. Damit laufen übermässige bürokratische Anforderungen Gefahr, die Transition auszubremsen, die sie zu messen suchen. Es bleibt die Frage, wie viel zusätzliche Bürokratie und Regulierungslast Unternehmen noch tragen können, ohne die Nachhaltigkeitsziele zu gefährden und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen. Um diese Frage zu beantworten, braucht es zunächst belastbare Grundlagen.

Um die derzeitige Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erfassen, hat economiesuisse eine Untersuchung angestossen. Dabei wurden mehr als 400 Schweizer Unternehmen und Branchenverbände im Rahmen der jährlichen Konjunkturumfrage befragt und die Ergebnisse mit internationalen Studien abgeglichen. Ziel war es, ein klares Bild vom tatsächlichen Umfang sowie von den finanziellen und personellen Aufwänden zu gewinnen, die Schweizer Betriebe heute bereits in die Umsetzung von Nachhaltigkeitsanforderungen investieren.

«Regulierungslast allgemein wird sogar als das grösste konjunkturelle Risiko, neben geopolitischen Spannungen, wahrgenommen.»

Die Ergebnisse zeichnen ein klares Bild: Die Bürokratie im Bereich Nachhaltigkeitsberichterstattung hat in der Schweiz bereits heute ein Niveau erreicht, das für viele Unternehmen eine grosse Herausforderung darstellt. Regulierungslast allgemein wird sogar als das grösste konjunkturelle Risiko, neben geopolitischen Spannungen, wahrgenommen.

«Realwerte des CO2-Verbrauchs jedes einzelnen Teils aus China zu erhalten, ist eine Sisyphusarbeit, die mehr CO2 verbraucht als die Teile selber!»

Umfrageteilnehmer

Insgesamt erstellen rund 160’000 Unternehmen in der Schweiz Nachhaltigkeitsberichte. Im Schnitt umfassen die Berichte 30 Seiten pro Jahr. Grosse Firmen sind stärker betroffen, wobei die administrative Last über die Lieferketten weitergegeben wird und damit insbesondere zuliefernde KMU betrifft. Exportorientierte Unternehmen rapportieren ausserdem fast doppelt so viel wie Unternehmen, die primär auf den inländischen Markt ausgerichtet sind.

Basierend auf diesen Zahlen hat economiesuisse hochgerechnet, dass in der Schweiz pro Jahr bis zu 1,5 Millionen Seiten an Nachhaltigkeitsberichten produziert werden – aufeinandergestapelt wäre das mehr als ein Prime Tower an Papier. Konservativ geschätzt beschäftigt dies mehrere zehntausend Arbeitskräfte und verursacht mehrere hundert Millionen Franken an Umsetzungskosten pro Jahr.

«Zu viele finanzielle und personelle Ressourcen verschwinden in Compliance und Reporting statt in Innovation und Projekten.»

Alexander Keberle

Die Zahlen zeigen damit klar: Zu viele finanzielle und personelle Ressourcen verschwinden in Compliance und Reporting statt in Innovation und Projekten. Bürokratie wird damit zu einer signifikanten «Transitionsbremse» auf dem Weg zu einer noch nachhaltigeren Wirtschaft. Und sie verschärft Probleme wie den Fachkräftemangel erheblich.

Die Wirtschaft steht hinter ihren ambitionierten Zielen. Doch um diese erreichen zu können, ist die Politik gefordert. Der Sinn und Zweck der Regulierung – nämlich die Schaffung von Transparenz zur Förderung der Transition – soll konstant im Auge behalten werden. Doch es müssen Rahmenbedingungen
geschaffen werden, die es Unternehmen ermöglichen, Ressourcen in Wirkung, nicht Papier, zu investieren. Das bedeutet:

  • Verschlankung der bestehenden Regulierung dahin gehend, dass konsequent Wirkung über Papier gestellt wird. Lieber umfassende Transparenz zu den wichtigsten Datenpunkten mit einer genügenden Genauigkeit und tiefen Kosten als Scheingenauigkeit über eine Unzahl von Datenpunkten, verbunden mit enorm hohen Kosten.
  • Förderung von Harmonisierung, Plattformen, Standards und Tools, um effizientes Reporting im freiwilligen Bereich zu stärken. Hier ist auch die Wirtschaft gefordert, aktiv mitzuarbeiten.
  • Kritische Prüfung von neuer Regulierung auf ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis für die ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Es reicht nicht, keinen «Swiss Finish» zu garantieren – die Schweiz muss einen Sonderweg effizienter Lösungen einschlagen.

Die Grundlage dieses Artikels bildet die Mitgliederumfrage zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von economiesuisse.

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