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Parlamentarier am Futtertrog des Staates

Mehrheit des St.Galler Kantonsrates lebt zumindest teilweise von der öffentlichen Hand Parlamentarier am Futtertrog des Staates

31.08.2015 | Viele Volksvertreter in den Ostschweizer Kantonsparlamenten verdanken ihr Einkommen direkt oder indirekt dem Steuerzahler, wie die neue Ausgabe von IHKfacts aufzeigt. Während diese «Staatsquote» in Appenzell Innerrhoden 38% beträgt, liegt der Anteil der vom Staat abhängigen Parlamentarier im Ausserrhodischen bei 46% und im Kanton St.Gallen sogar bei über 57%. Einer der Hauptgründe ist die hohe Präsenz von Gemeindepräsidenten und Lehrern in den kantonalen Parlamenten. Vertreter der Privatwirtschaft befinden sich in der Minderheit.

Die neue Ausgabe von IHKfacts – das vor einem Jahr lancierte und von der IHK St.Gallen-Appenzell herausgegebene Wirtschaftsmagazin – beleuchtet mit mehreren Beiträgen das Schwerpunktthema „Demokratie“. Für einen Artikel wurde die „Staatsquote“ der Kantonsparlamente von St.Gallen und den beiden Appenzell untersucht. Gemeint ist damit der Anteil jener Parlamentarier, die ihr Einkommen ganz oder teilweise durch den Staat erzielen. Dazu wurden die Legislativpolitiker in vier Kategorien eingeteilt:

  • Kategorie 1 / Staatsangestellte: Sie beziehen ihren Lohn direkt auf Kosten des Steuerzahlers und sind abhängig vom Staat. Zur Kategorie 1 gehören z.B. Gemeindepräsidenten oder Verwaltungsangestellte.
  • Kategorie 2 / Angestellte von Betrieben im Staatseigentum oder staatsnahen Betriebe: Zu dieser Kategorie werden z.B. Lehrer, Bahnangestellte oder Landwirte gezählt, da Letztere wesentlich von den Direktzahlungen leben.
  • Kategorie 3 / Privatwirtschaft, die wesentlich von öffentlichen Aufträgen profitiert, z.B. Tiefbauunternehmer oder Umweltberater.
  • Kategorie 4 / Privatwirtschaft: Alle, die ihr Einkommen weitgehend unabhängig vom Staat verdienen, z.B. selbständige Unternehmer, Angestellte in Privatunternehmen oder Gewerkschafter.

St.Gallen: Nur ein Drittel in Privatwirtschaft

Die Einteilung in die verschiedenen Kategorien erfolgte gemäss den von den Kantonen publizierten Berufsangaben der Legislativpolitiker. Zwar kann die Kategorisierung nicht in allen Fällen trennscharf erfolgen, und zudem haben auch die vielen vorzeitigen Rücktritte der letzten Monate aus dem St.Galler Kantonsparlament das Bild laufend marginal verändert. Trotzdem ist die Tendenz glasklar: Die Zahl der Parlamentsmitglieder, die ihr Auskommen vollumfänglich in der Privatwirtschaft verdient, hat ein bedenklich tiefes Niveau erreicht. Dabei zeigt sich wenig überraschend, dass die Staatsabhängigkeit im Parlament steigt, je grösser der Kanton ist: Zählt man die Kategorien 1 und 2 zusammen, um den Anteil der von Staatsgeldern abhängigen Parlamentariern zu ermitteln, so resultiert im Kanton St.Gallen eine parlamentarische Staatsquote von 57.5%, im Kanton Appenzell Ausserrhoden eine von 46% und im Appenzell Innerrhoden liegt diese noch bei 38%. Nimmt man auch die Kategorie 3 dazu, verdüstert sich das Bild weiter: Während im Kanton St.Gallen nur etwa ein Drittel in keiner Form von einem Futtertrog des Staates lebt, beträgt dieser Anteil im Kanton Appenzell Ausserrhoden etwas über 40% und in Innerrhoden immerhin die Hälfte aller Grossratsmitglieder.

Staatsnahe Wirtschaftspartei

Einer der Hauptgründe für die hohe «Staatsquote» im St.Galler Kantonsparlament ist die Präsenz der Gemeindepräsidenten und Stadträte. Sie machen rund einen Sechstel des Rates aus – bei der Wirtschaftspartei FDP stellen sie zurzeit sogar fast die Hälfte der Fraktion. Zwar politisiert die FDP vor allem auf Bundesebene wirtschaftsfreundlich, ist aber im St.Galler Parlament gleichzeitig die Partei, die am stärksten vom Staat abhängt.

Fast so gut vertreten wie die Gemeindepräsidenten sind im Kanton St.Gallen die Lehrerinnen und Lehrer. Sie sind nebst einigen Landwirten mitverantwortlich, dass rund ein Drittel des Parlaments zur Kategorie 2 zu zählen ist.

Innerrhoden mit intaktem Milizprinzip

Die Gemeindepräsidenten sind auch im Ausserrhoder Kantonsrat mit einem guten Zehntel relativ stark vertreten. Dazu kommen – ähnlich wie im grossen Nachbarkanton – mehrere Lehrpersonen, Verwaltungsangestellte und Mitarbeitende öffentlicher Institutionen, die letztlich zu einer Staatsquote von 46 % führen.

Im Kanton Appenzell Innerrhoden sieht die Situation weniger prekär aus. Dies dürfte der Kleinheit des Kantons und dem noch immer hochgehaltenen Milizprinzip zu verdanken sein. So muss ein Bezirkshauptmann aufgrund der kleinen Strukturen einem zusätzlichen Broterwerb nachgehen. Dies wirkt sich positiv aus: Mit 38% liegt die Staatsquote im Innerrhoder Grossen Rat zwar ebenfalls hoch, aber dennoch am tiefsten von den drei untersuchten Ostschweizer Kantonen. Die Fahne des Staates halten in der Kategorie 1 nur zwei Verwaltungsangestellte hoch. Dafür sind im Kanton Appenzell Innerrhoden die der Kategorie 2 zugerechneten Landwirte verhältnismässig stark vertreten. Zudem ist die Appenzeller Kantonalbank, die zu 100 % dem Kanton gehört, gleich mit drei Personen im Parlament vertreten.

Es braucht mehr Parlamentarier aus der Privatwirtschaft

Nicht nur in den kantonalen Parlamenten, sondern auch im Bundesparlament ist die private Wirtschaft zu wenig stark und direkt vertreten. Um dies zu ändern, lancierte die IHK St.Gallen-Appenzell die Wahl-Plattform www.wir-wählen-wirtschaft.ch und publiziert gleichzeitig ein IHKfacts-Sonderheft zu den Wahlen. Darin wird das Abstimmungsverhalten von Kandidierenden bei den wichtigsten wirtschaftspolitischen Abstimmungen der letzten vier Jahre transparent gemacht. Ziel ist es, dass Kandidierende aus der privaten Wirtschaft über die Parteigrenzen hinaus Panaschierstimmen gewinnen und so innerhalb ihrer Listen ein möglichst gutes Ergebnis erzielen.