Energie
Nachhaltige Käseproduktion im Akkord
Vom Tal zum Gipfel: Eine nachhaltige Reise durch die Ostschweiz – Teil 2 von 3
12. September 2023, Patrick Louis
Innovative Ansätze in der Industrie, Lebensmittelherstellung und im Tourismus zeigen, wie nachhaltige Geschäftsmodelle für die Zukunft gerüstet sind und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. In dieser Serie begeben wir uns auf eine Entdeckungsreise durch die Ostschweiz. Teil 2 führt uns ins Appenzellerland zur Berg-Käserei Gais.
Mittelstation: Berg-Käserei Gais AG, Gais
Andreas Hinterberger führt seit 23 Jahren die Berg-Käserei Gais. Der Betrieb verarbeitet täglich bis zu 60‘000 Liter Appenzeller Bergmilch – von Raclette über den hauseigenen Säntis Bergkäse, bis hin zum edlen Rustico Nostrano. Vor zwei Jahren erhielt die Berg-Käserei den Preis «ausgezeichnet naturgemacht» von der Gemeinde Gais. Der Preis würdigt innovative Projekte. Bei der Berg-Käserei wurden die «erlesenen Milchprodukte aus lokalen, hochwertigen Rohstoffen» sowie die Produktion mit nachhaltigen Energieformen hervorgehoben.
Für die Käseproduktion wird viel Wärme benötigt. 2011 schloss sich der Betrieb an das Erdgasnetz an und ersetzte damit rund 100‘000 Liter Heizöl – und sparte gleichzeitig rund 20% des CO2-Ausstosses ein. Die nachhaltige Ausrichtung hat sich seither ausgezahlt und wird in einer klaren Strategie weiterhin verfolgt. 2018 weihte das Unternehmen ein neues Produktionsgebäude ein, womit die Käseherstellung weitgehend automatisiert wurde. Damit legte es auch den Grundstein für die Wärmepumpe, welche seit 2019 die Gasturbine weitgehend ersetzt. Für deren Realisierung sind die St.Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke (SAK) auf die Berg-Käserei zugekommen. Das von der SAK betriebene Rechenzentrum neben der Käserei produzierte viel ungenutzte Abwärme, weshalb sich ein Wärme-Contracting lohnt. Nun deckt die Abwärme des Rechenzentrums den gesamten Wärmebedarf der Käserei. Mit dem Neubau wurden auch Wärmerückgewinnungsanlagen eingebaut und eine neue Solaranlage installiert. Zusammen mit der seit 2014 bestehenden Anlage auf dem Käselager hat die Berg-Käserei somit eine Leistung von 350 Kilowatt-Peak, womit im Juni 2023 die Hälfte des Stromverbrauchs gedeckt werden konnte. Zudem sind weitere Photovoltaikanlagen auf der Fassade in Prüfung.
«Wir brauchen kein Klimagesetz und auch keine Greta»
Andreas Hinterberger und sein Team packen an, das merkt man an ihrer fachmännischen und zielstrebigen Art. Die Berg-Käserei ist ein lokal verwurzelter Betrieb. Wenn Hinterberger aus der Fensterfront der Produktionshalle schaut, sieht er die Felder seiner Milchproduzenten, allesamt aus den beiden Appenzell. Augenzwinkernd sagt er: «Unsere Mitarbeitenden haben hier die beste Aussicht – wie in den Ferien». Das Engagement der Berg-Käserei in der Nachhaltigkeit liegt ihm am Herzen. Dafür möchte er weder entschädigt noch gefördert werden. Das Unternehmen finanziert sich selbst, auch den Neubau – ohne Zulagen von Bund oder Kanton. «Wir brauchen kein Klimagesetz und auch keine Greta, um uns für Nachhaltigkeit zu engagieren», erklärt Andreas Hinterberger. Das Engagement spiegelt sich auch in der Kälteanlage, welche mit Propan betrieben wird, einem umweltfreundlichen Kältemittel.
Weitgehend automatisierte Produktion
In die Produktionshalle geht es über eine Schuhreinigungsanlage, es gilt Haarnetz- und Kittelpflicht. Im Inneren führen metallene Rohre und Kabel zu verschiedenen Behältern und Maschinen. Es sieht chaotisch aus, hat aber System: Mit dem Plattenwärmetauscher wird nur noch ein Viertel der Energie benötigt, um die Milch auf 72 Grad zu erwärmen. Nicht nur die Energieversorgung erfolgt klimaneutral, im Unternehmen herrscht zudem ein Bewusstsein dafür, dass die nachhaltigste Kilowattstunde jene ist, die gar nicht erst produziert werden muss.
Die Produktion ist weitgehend automatisiert. An beinahe jeder Maschine prangt das Logo von Kalt, einem führenden Spezialisten für Käsereitechnologie aus dem Toggenburg. Im Gegensatz zum Sortenkäse wie etwa Emmentaler oder Greyerzer produziert die Berg-Käserei Gais nur freie Sorten, weshalb sie die Produktionsschritte und ihren Automatisierungsgrad selbständig festlegen können. In der Lagerhalle wird die Automatisierung sichtbar. «Röbi senior» nennen die Mitarbeitenden den Käsepflegeroboter, der in 24 Stunden einen Gang mit 12‘000 Käselaiben massiert. Der Roboter holt die Käselaibe aus den meterhohen Regalen, wendet sie im Akkord und reibt sie mit einer Salzlake ein. Im Parallelgang widmet sich «Röbi junior» derselben Fliessbandarbeit. Momentan läuft die Racletteproduktion auf Hochtouren – man ist bereit für das Wintergeschäft.
Doch an einem Ort wird der Käse noch von Hand gepflegt und dreimal wöchentlich gedreht. Andreas Hinterberger nennt den Gewölbekeller die «Perle» der Berg-Käserei. Dort produzieren Bakterienkulturen Grauschimmel und verleihen so dem Rustico Nostrano seinen Charakter. Alles am Keller ist so naturnah wie möglich, er besteht aus Ton und ist mit Sumpfkalkmörtel überzogen. Es zeigt sich: An der Berg-Käserei treffen sich moderne und traditionelle Herstellungsmethoden. Das Unternehmen zeigt, wo es langgeht in der nachhaltigen Produktion.
Serie «Vom Tal zum Gipfel: Eine nachhaltige Reise durch die Ostschweiz»
In dieser dreiteiligen Reportage werden in drei Stationen vom Tal zum Gipfel Unternehmen vorgestellt, welche Nachhaltigkeit in der Ostschweiz vorleben. Bartholet Maschinenbau AG, die Berg-Käserei Gais AG und das Berggasthaus Staubern zeigen, dass die Energiewende nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance für Erfindergeist und zukunftsorientiertes Handeln ist. Es ist eine Chance, zu beweisen, dass die Ostschweiz den Takt für eine innovative, resiliente, und nachhaltige Wirtschaft angeben kann.
Hinweis: Dieser Artikel ist in Kooperation mit economiesuisse und Sustainable Switzerland, der Nachhaltigkeitsinitiative der NZZ, entstanden. Die Reportage wurde in verkürzter Form in der NZZ Nr. 203, 244. Jg. sowie auf sustainableswitzerland.ch veröffentlicht.