Erfolgreiche Führung

Mitarbeitende verlassen Chefs, nicht Unternehmen

Fach- und Führungskräftemangel

20. September 2024, Kathrin Loppacher

Der Fach- und Führungskräftemangel ist nicht nur in der Ostschweiz akut. Darum gilt: Wenn es schwieriger wird, neue Mitarbeitende zu finden, müssen die bestehenden unbedingt gehalten werden. Die Antwort darauf klingt einfach: gute Führung. Doch in der Praxis gestaltet sich dies nicht so einfach.

Laut einer McKinsey-Umfrage aus dem Jahr 2022 ist «Unzufriedenheit mit den Vorgesetzten» der zweithäufigste Grund für eine Kündigung. Damit bestätigt sich einmal mehr die Aussage des britischen Forschers und Autors Marcus Buckingham: «Mitarbeitende verlassen keine Unternehmen, sondern Chefs.» Heute müssen Führungskräfte den Spagat zwischen «Babyboomern» und der «Gen Alpha» in der Teamführung schaffen. Es gilt darum, die Führungsausbildung den veränderten Ansprüchen aller Generationen anzupassen. Das stärkt die Teams – und damit die Unternehmen als Ganzes.

Komplexe Arbeitswelt bedingt umfassende Ausbildung

Die (angehenden) Führungspersonen müssen heute nicht nur über fachliches Wissen und Entscheidungsfähigkeiten verfügen, sondern auch emotionale Intelligenz und die Fähigkeit zur Potenzialentfaltung fördern. «Führungskräfte sollten praxisnahe Erfahrungen sammeln, um ihre Fähigkeiten in Feedback, Motivation und Resilienz zu stärken. Zudem sind das Verständnis für digitale Tools und die Fähigkeit, in hybriden und virtuellen Arbeitsumfeldern effektiv zu führen, unerlässlich», ist Abdullah Redzepi überzeugt. Als Coach, Trainer und Sparringpartner für Leadership & Culture weiss er aus eigener Erfahrung, worauf die Entwicklung von Führungskräften abzielen soll: «Führungskräfte müssen auf die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt vorbereitet und in die Lage versetzt werden, eine positive, nachhaltige und produktive Arbeitskultur zu schaffen.» Redzepi ist einer von vier Seminarleitenden, die ihr Wissen im IHK-Seminar «Führungskompetenzen für (angehende) Teamleitende» weitergeben.

Neue Erwartungshaltung, hohe Geschwindigkeit

Und welchen Einfluss wird die künstliche Intelligenz (KI) auf die Führungskompetenzen haben? KI im eigentlichen Sinne ist zwar kein neues Thema, doch hat die Lancierung von ChatGPT Ende 2022 eine gewaltige Umwälzung ausgelöst. Erstmals wurden diese Sprachmodelle für die breite Masse zugänglich. Urs Sidler, Leiter Innovation Center bei Switzerland Innovation Park Ost AG, ist überzeugt: «Die Anzahl und Qualität der KI basierten Werkzeuge ist seither richtiggehend explodiert. Branchenübergreifend ist die Eintrittshürde für so manches Geschäftsfeld stark gesunken oder hat die Aufgabenverteilung massiv verschoben.» Wo früher Fachpersonen mit Spezialequipment und entsprechend viel Zeit und Geld notwendig waren, erreiche heute der Laie mit handelsüblichem Gerät und wenig Budget schon ganz passable Resultate.

Diese Entwicklung bedinge strategische Führungs und Digitalisierungskompetenz von Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Kadern auf allen Stufen. Denn nicht alles «technisch Machbare» sei auch «ethisch und/oder wirtschaftlich sinnvoll oder vertretbar». Wie das konkret fürs eigene Unternehmen aussehen kann, zeigt Sidler im IHK Seminar «Künstliche Intelligenz im KMU-Führungsalltag» praxisnah auf.

Jetzt starten für die Positionierung von morgen

Was bedeuten diese Entwicklungen für die Ostschweizer Unternehmen? Sie dürfen sich diesen Entwicklungen nicht verschliessen. Wer heute nicht mit dem Wandel, der Anpassung – punkto Führung und Digitalisierung – mitgeht, kann in Zukunft einen massiven Wettbewerbsnachteil haben. Und dies nicht nur bezüglich Arbeitgeberattraktivität und Marktangebot. Wir haben bei vier Führungspersönlichkeiten nachgefragt, wie sie die sich wandelnden – und zeitlosen – Ansprüche an Führungskompetenzen einschätzen.

Welche Führungskompetenzen waren früher entscheidend – und sind es auch heute noch?

«Führungspersönlichkeiten sollten die Zukunft antizipieren und strategisch denken. Um ihre langfristigen Ziele zu erreichen, müssen sie die Mitarbeitenden mitnehmen, sie motivieren und inspirieren – das war früher nicht anders als heute.»

Dr. Dominik Hauser:

Früher waren Autorität und Durchsetzungsvermögen, fachliche Expertise und Entscheidungskraft wichtig. Seither gab es eine schrittweise Verschiebung von einem autoritären zu einem partizipativen, mitarbeiterorientierten Führungsstil. Heute benötigen erfolgreiche Kader emotionale Intelligenz und Empathie, Anpassungsfähigkeit, Innovationsfähigkeit, digitale Kompetenz und die Förderung von Zusammenarbeit. Dabei spielt nach wie vor eine klare und verständliche Kommunikation eine entscheidende Rolle (heute eher auf Augenhöhe). Moderne Führungskräfte müssen  zunehmend als Coaches agieren und sich in komplexen, sich schnell verändernden Umgebungen bewegen können.

«Klarheit, Entschlossenheit und Verantwortungsbewusstsein sind die wesentlichen Säulen guter Führung und bleiben nach wie vor zentral, damit Führungskräfte weiterhin Vertrauen und Stabilität gewährleisten können.»

Urs Sidler:

Entscheidende Führungskompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Entscheidungsfähigkeit, Integrität und Anpassungsfähigkeit waren in der Vergangenheit unverzichtbar und bleiben es auch heute und in Zukunft. Diese zeitlosen Fähigkeiten ermöglichen es Führungskräften, ihre Teams auf die Vision und Ziele auszurichten, erfolgreich durch Veränderungen zu führen und eine vertrauensvolle, produktive Arbeitsumgebung zu schaffen. In einer dynamischen, zunehmend vernetzten Welt werden diese Kompetenzen umso wichtiger.

Welche neuen Führungskompetenzen wird es in Zukunft brauchen?

Michèle Mégroz:

Die Fähigkeit, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und an neue Herausforderungen anzupassen, ist heute entscheidender denn je. Führungskräfte, die diese Kompetenzen beherrschen, sind in der Lage, ihre Teams erfolgreich durch die komplexen und dynamischen Anforderungen der modernen Arbeitswelt zu führen. Um in dieser Transformation eine Leadership-Rolle zu übernehmen, sind Agilität, Anpassungsfähigkeit, digitale Kompetenzen, Change-Management, Innovationsfähigkeit etc. enorm wichtig. Ebenfalls sollen sie in der Lage sein, die dafür nötige Basis zu schaffen, was z.B. auch die Firmenkultur oder moderne Organisationsformen mit flachen Hierarchien beinhaltet.

«Als zukünftige Führungskompetenz scheint mir eine Integration von künstlicher Intelligenz (KI) resp. das KI-Management unabdingbar zu werden.»

Abdullah Redzepi:

Neben den traditionellen Kompetenzen sind heute auch emotionale Intelligenz und eine Kultur der Wertschätzung unverzichtbar. Führungskräfte müssen nicht nur klare Ziele formulieren, sondern auch die individuellen Stärken ihrer Mitarbeitenden erkennen und gezielt fördern. Die Fähigkeit, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen und Vertrauen aufzubauen, ist entscheidend, um Mitarbeitende zu motivieren und zu binden. Zudem werden in der Zukunft Flexibilität und Agilität besonders wichtig sein. Führungskräfte werden gefordert sein, sich immer schneller an neue Herausforderungen anpassen zu können und gleichzeitig eine positive Orientierung zu bewahren. Darüber hinaus werden die Potenzialentfaltung und das Fördern von Diversität und Inklusion an Bedeutung gewinnen. Somit wird Führung zunehmend zur Kunst, das Potenzial der Mitarbeitenden und Teams zu erkennen und gezielt zu entwickeln.

«Das konstruktive Hinterfragen, wie mit aktuellen Technologien die eigenen Produkte/Dienstleistungen, Prozesse oder gar Geschäftsmodelle optimiert werden können – sind zwar nicht neu, werden aber in Zukunft aufgrund der KI noch viel wichtiger.»

Welche Erwartungen und Ansprüche haben jüngere Generationen an die Führungskompetenzen ihrer Vorgesetzten?

Michèle Mégroz:

Die oben angesprochenen Kompetenzen decken sich zu einem grossen Teil mit den Erwartungen jüngerer Generationen. Denn aus meiner Sicht ist die Unternehmenskultur ein zentraler Erfolgsfaktor und diese wird massgeblich durch die Führungspersönlichkeiten geprägt und vorgelebt. Dazu gehören ein offener Umgang, Transparenz, Vertrauen, Wertschätzung und Weiterentwicklung genauso wie flache Hierarchien, Mitbestimmung oder flexible Arbeitsmodelle.

Dr. Dominik Hauser:

Jüngere Mitarbeitende erwarten Führungskräfte, die als Mentoren agieren, um ihre Mitarbeitenden erfolgreich werden zu lassen. Vier Kompetenzen sind dabei zentral:

  • Authentizität und Transparenz: Eine offene Kommunikation und ehrliches Feedback werden geschätzt, bieten auch die Basis für den Aufbau von Vertrauen.
  • Ebenso ist zu spüren, dass die Förderung der persönlichen und beruflichen Entwicklung (anstelle von reiner Anweisung) viel wichtiger ist.
  • Work-Life-Balance: Respekt für Privatleben und flexible Arbeitsmodelle.
  • Nicht in allen Bereichen, jedoch öfters steht die Sinnfrage im Raum. So wird die Vermittlung von Sinn und Zweck der Arbeit in Verbindung zu grösseren Zielen wichtiger.

Abdullah Redzepi:

Jüngere Mitarbeitende verlangen mehr als nur klassische Führungskompetenzen. Sie suchen nach Führung auf Augenhöhe, die ihnen Sinn und Inspiration in der Arbeit bietet. Die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen und Verantwortung zu übernehmen sowie eine ausgewogene Work-Life-Balance sind für sie von grosser Bedeutung. Sie erwarten von ihren Vorgesetzten, dass diese nicht nur die Leistung überwachen, sondern auch das Wohlbefinden und die persönliche Entwicklung ihrer Mitarbeitenden fördern.

Urs Sidler:

Erstens sollte Arbeit sinnstiftend und so «smart» wie möglich organisiert sein. Reine «Fleissarbeit» wird immer weniger akzeptiert, wenn das adressierte Ziel keinen Sinn ergibt oder aber das gleiche Resultat mit geeigneten Hilfsmitteln/ Werkzeugen einfacher, schneller und eventuell sogar besser erreicht werden kann. Zweitens möchten die Mitarbeitenden mit der zunehmenden Akademisierung der Berufsbilder in ihrer Rolle auch mehr Verantwortung übernehmen. Der hierarchische Führungsstil kommt entsprechend unter Druck, da in interdisziplinären Teams die Führungsperson typischerweise nicht mehr in allen Bereichen am meisten Wissen / Können vorweisen kann.

Praxisnahe Seminare für ihren Arbeitsalltag

Das neue Seminarangebot der IHK St. Gallen-Appenzell ist zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Ostschweizer
Unternehmen – praxisnah und alltagstauglich. Passend zum Fokusthema empfehlen wir Ihnen folgende Seminare:

  • Führungskompetenzen für angehende Teamleitende: 17. – 18. Oktober 2024 und 14. – 15. November 2024
  • Souveräner Medienauftritt für KMU: 22. Oktober 2024
  • Künstliche Intelligenz im Führungsalltag: 8. November 2024
  • Markenzeichen KMU – Employer Branding in der Ostschweiz: 29. November 2024

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