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Kryptogeld hat Potenzial, aber nicht als Zahlungsmittel

Zukunft des Geldsystems? Kryptogeld hat Potenzial, aber nicht als Zahlungsmittel

Dr. Frank Bodmer, Leiter IHK-Research

Digitale Innovationen versprechen das Geldsystem zu revolutionieren. Vor zehn Jahren haben Informatiktüftler eine digitale, dezentral verwaltete neue Währung vorgeschlagen. Inzwischen zirkulieren Bitcoins mit einem aktuellen Marktwert von rund 110 Milliarden US-Dollar. Das ist höher als der Notenumlauf an Schweizer Franken. Trotz dieses Erfolgs müssen hinter der zukünftigen Verwendung von Kryptogeld als Zahlungsmittel Fragezeichen gesetzt werden.

Revolutionäres Geldsystem

2008 wurde in einem Internetforum ein Konzeptpapier unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto veröffentlicht, welches ein digitales Geldsystem mit einer dezentralen Überprüfung der Zahlungen vorschlug. Alle bisher vorgeschlagenen Systeme für digitales Geld beruhten auf einer zentralen Gegenpartei, welche die Zahlungen überprüfen und so Zahlungen mit bereits ausgegebenem Geld verhindern musste. Im System von Nakamoto fiel die Notwendigkeit dieser Gegenpartei weg. Vielmehr sollte die Überprüfung dank eines Netzwerks von Nutzern erfolgen, mithilfe der ebenfalls neu erfundenen Blockchain, einer erweiterbaren Liste von Datensätzen (den «Blöcken»). Jeder Bitcoin, der Name der neuen Währung, erhält dabei eine öffentlich einsehbare Kodierung, und die Verwendung der Bitcoins lässt sich vom gesamten Netz von Prüfern (den sogenannten «Minern») dezentral überprüfen. Deklariertes Ziel dieses digitalen Geldes war es, staatliches ­Papiergeld zu ersetzen. Dieses wurde und wird von Staaten immer wieder benutzt, um Einnahmen zu generieren, mit Geldentwertung als Folge. Mit dem Verzicht auf eine Gegenpartei war es auch nicht nötig, auf das Bankensystem oder andere Finanzintermediäre zurückzugreifen. Nach der Finanzkrise und den staatlichen Rettungsprogrammen hatten diese einen noch schlechteren Ruf als die Staaten selber.

Entwicklung von Bitcoin

Nach Publikation des Konzeptpapiers arbeiteten Programmierer etwa ein Jahr lang an der nötigen Software. Anfang 2009 wurden die ersten 50 Bitcoin geschaffen und im Ausgangsblock veröffentlicht. Lange blieb die Nutzung der neuen Währung auf Tüftler und die digitale Wirtschaft beschränkt. Mit der Bewährung der Technik und der Verbreiterung des Nutzerkreises kamen aber immer mehr Möglichkeiten zur Verwendung des neuen Geldes als Tauschmittel für reale Güter und andere Währungen und damit als «Geld» hinzu. Dies zeigt sich auch im Preis von Bitcoin, gemessen in US-Dollar (USD). Während Bitcoin bis 2012 im Vergleich zum USD nur einen sehr tiefen Wert hatte, änderte sich das 2013 und vor allem 2014 (siehe Abbildung). Im Januar 2014 erlebte der Preis von Bitcoin einen ersten Höhepunkt, mit über 1 000 USD pro Bitcoin. Dieser Preis wurde erst im März 2017 wieder übertroffen. Danach setzte Bitcoin zu einem Höhenflug an, welcher die Währung im Dezember 2017 kurzfristig über die 20 000-$-Grenze brachte. 2018 hat sich der Preis etwas stabilisiert, die Volatilität bleibt aber nach wie vor sehr hoch.

Kryptogeld ist kein vollwertiges Zahlungsmittel

Das erklärte Ziel von Bitcoin war es, eine Währung ohne die Tendenz zum Wertverlust der staatlichen Währungen zu schaffen. Eine solche Tendenz lässt sich bei Bitcoin bisher wirklich nicht feststellen, im Gegenteil, der Wert stieg seit Einführung insgesamt doch steil an. Allerdings stellt die hohe Preisvolatilität ebenfalls ein fundamentales Problem dar. Wer Bitcoins oder andere Kryptowährungen für Zahlungen akzeptiert, kann nicht sicher sein, zu welchem Preis er sie wieder weitergeben kann. Insbesondere wenn Kryptogeld als Wertaufbewahrungsmittel über längere Zeit gehalten würde, stellen diese Preisfluktuationen ein grosses Problem dar. Eine weitere Folge davon ist, dass Kryptowährungen nur unter sehr hohem Risiko als Grundlage für Verträge verwendet werden können. Das Informationsproblem wird noch dadurch verschärft, dass inzwischen fast 2500 verschiedene Kryptowährungen existieren. Die Liste wird täglich länger, wie ein Blick auf den Newsservice von «Investing.com» zeigt. Insgesamt fehlen Kryptowährungen damit zentrale Eigenschaften, welche bei Geld ­eigentlich wünschbar wären: Stabilität im Wert und das sichere Vorhandensein einer Gegenpartei. Ein Ersatz von staatlichem Geld, wie es von verschiedenen Befürwortern von Krypto­währungen als realistisch dargestellt wird, ist damit in der aktuellen Form ausser in einzelnen Nischen nicht zu erwarten.

Intermediäre als Zukunft von Kryptogeld?

Um das Problem der Preisvolatilität und das Problem der möglicherweise fehlenden Abnehmer zu entschärfen, können Börsen und andere Finanzintermediäre eingesetzt werden. Bereits 2010 nahm die japanische Börse «Mt. Gox» den Handel von Bitcoins auf. Dadurch entstand ein zentraler Marktplatz, wo Bitcoins gegen andere Währungen getauscht werden konnten. Die Liquidität der neuen Währung wurde so deutlich verbessert. Allerdings entstanden auch neue Sicherheitsrisiken, welche zu wiederholten Attacken auf die Börse und schliesslich 2014 zur Insolvenz führten. Mt. Gox war eine reine Börse, welche die Preise nicht direkt zu stabilisieren versucht. Um die Volatilität zu senken oder gar zu elimi­nieren, könnten auch Marktmacher auftreten. Diese kaufen und verkaufen die Währung in dem Ausmass, welches Preisveränderungen verhindert. Das ist aber aus zwei Gründen problematisch. Erstens müssten diese Marktmacher selber ein hohes Risiko eingehen und wären von Insolvenz bedroht. Zweitens eliminieren solche Eingriffe den Informations­gehalt, welche Preisänderungen ergeben. Angesicht der grossen Vielfalt an Kryptowährungen ist eine Auswahl aber nötig. In einem dezentralen System kann eine solche Auswahl nur auf Basis von Preisen erfolgen.

Unklare Regeln als weiteres Grundproblem

Im Grundsatzpapier von 2008 schlug Nakamoto eine Angebotssteuerung vor, welche den Wert von Bitcoin über die Zeit stützen sollte. Die Neuausgabe von Bitcoins verringert sich immer weiter, bis ca. 2140 der letzte neue Bitcoin ausgegeben würde. Von den rund 21 Millionen Münzen, welche bis dann geschaffen würden, sind aktuell bereits etwa 85% in Zirkulation. Dieses begrenzte Angebot sollte der neuen Währung Stabilität geben. Da neue Bitcoins allerdings zur Entschädigung der Kontrollaktivität der Miner dienen, sinken die möglichen Einnahmen für die Miner mit der Zeit ebenfalls, ausser es kommt zu einem starken Preisanstieg. Damit ist es angesichts des massiven Einsatzes von Hardware und Energie sehr gut vorstellbar, dass sich die Mining-Aktivität mit der Zeit nicht mehr lohnen wird. Dann würde das dezen­trale Kontrollsystem zusammenbrechen. Die Bitcoin-Stiftung, welche Software und Regelwerk pflegt, könnte mit noch in den Reserven befindlichen Bitcoins eine direkte Entschädigung der Miner vornehmen. Ein solches neues Entschädigungssystem würde allerdings zusätzliche Regeln bedingen. Dazu könnte eine höhere Neuausgabe von Münzen nötig werden, welche nachträglich noch beschlossen werden müsste. Damit ist bereits gesagt, dass die Regeln bei Kryptowährungen nicht in Stein gemeisselt sind. Wie bei staatlichen Währungen besteht damit auch bei privaten Währungen die Möglichkeit von Regel­änderungen und damit letztlich Manipulation durch die Herausgeber.

Blockchain für die Unternehmensfinanzierung

Während die Zukunft von Kryptowährungen als Zahlungsmittel kritisch beurteilt werden muss, besteht in einem anderen Bereich ein sehr grosses Potenzial. Die Blockchain-Technologie schafft einen dezentralen Markt für die entsprechenden Titel, eine Kotierung an einer zentralen Börse erübrigt sich. Eine Unternehmung kann damit Geld in der Form von Eigen- oder Fremdkapital aufnehmen. Die dazu geschaffenen Titel können danach ­dezentral gehandelt werden. Der Geschäftsgang der Unternehmung sollte dabei den Wert dieser Titel (mit-)bestimmen und damit auch zu einer gewissen Stabilisierung bei der Preisentwicklung führen. Auch bei dieser Anwendung dürfte allerdings eine Standardisierung notwendig werden, um die potenziellen Informationsprobleme für die Geldgeber zu reduzieren. Damit müsste man sich aber wieder vom Ideal eines dezentralen, sich selbst regulierenden Systems der Kryptogeld-Propheten entfernen. Eine gewisse Standardisierung, mit dem Einsatz von Auditoren oder ­Intermediären, dürfte nicht zu vermeiden sein, soll die Blockchain-Technologie ihr volles Potenzial ausschöpfen.

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