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Erfolgsmodell ist herausgefordert

Umfrage zeigt Schwächen der Berufsbildung Erfolgsmodell ist herausgefordert

Dr. Frank Bodmer, Leiter IHK-Research

Die Zufriedenheit mit der Berufsbildung ist in der Ostschweiz im Allgemeinen sehr hoch, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Insbesondere die Ausbildung am Arbeitsplatz wird sehr geschätzt. Weniger gut schneiden Berufsschulen und überbetriebliche Kurse ab – zwei Bereiche, in denen Staat und Verbände eine wichtige Rolle spielen. Reformen, welche die Anpassungsfähigkeit der schulischen Ausbildung erhöhen und beschleu­nigen, sind deshalb nötig.

Die Digitalisierung führt zu tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt. Roboter erledigen in der «Fabrik 4.0» Fertigung und Lagerung. Die benötigten Materialien bestellen sie selber, die Auftragsbefehle erfolgen automatisch. Das «Internet der Dinge» verbindet Fabrikation, Kunden und Zulieferer auf der ganzen Welt. Auch die Büroarbeit ist von diesem Wandel betroffen. Viele Aufgaben der Datenerfassung und -verarbeitung werden von Programmen erledigt. Andere können dank der Digitalisierung in Länder mit tieferen Lohnkosten verschoben werden. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass Arbeit in reichen Ländern obsolet wird, wie es Pessimisten bereits seit Jahren vorhersagen. Sicher ist dagegen, dass sich die Anforderungen an die Arbeit fundamental ändern werden.

Arbeitsanforderungen von morgen

Die Arbeitskräfte der Zukunft werden vermehrt Maschinen und Prozesse überwachen und in Schnittstellenaufgaben tätig sein. Dazu braucht es ein Verständnis dieser Prozesse und die Fähigkeit, Probleme zu lösen. IT-Kenntnisse werden zentral sein, wobei es nicht nur Programmierer brauchen wird, sondern auch Nutzer, welche bei Problemen Anpassungen vornehmen können. Angesichts der zunehmend globalisierten Produktionsprozesse wird die Zusammenarbeit über Aufgaben- und Ländergrenzen hinaus an Bedeutung gewinnen. Dazu braucht es Kommunikationsfähigkeit. Drei branchen- und stellenübergreifende Schlüsselkompetenzen der Arbeit der Zukunft werden damit IT-Kenntnisse, Kommunikations- und Problemlösungsfähigkeit sein. Der Fokus der Ausbildung muss verstärkt auf diesen Kernkompetenzen und weniger auf spezifischem Sachwissen liegen. Dieses ist elektronisch gespeichert und kann einfach abgerufen werden. Die spezifischen Aufgaben werden zudem einem schnellen Wandel unterworfen sein, was Flexibilität und lebenslanges Lernen notwendig macht.

Veränderungen rascher umsetzen

Die Berufsbildung ist nach wie vor der wichtigste Bildungsweg, in der Ostschweiz wählen ihn rund drei Viertel aller Schülerinnen und Schüler. Für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts wird es deshalb entscheidend sein, wie die Berufsbildung für die neuen Herausforderungen gewappnet ist. Grundsätzlich dürfte die duale Bildung gut aufgestellt sein, dank des starken Gewichts der praktischen Ausbildung. Die Unternehmen müssen sich laufend dem Wettbewerb und den neuen Herausforderungen stellen. Veränderungen fliessen damit in der Regel sehr schnell in die praktische Ausbildung ein. Weniger gut sieht es bei den anderen beiden Elementen der Ausbildung aus, nämlich Berufsschulen und überbetrieblichen Kursen.

Sehr zufrieden mit praktischer Ausbildung

Die Zufriedenheit mit der praktischen Ausbildung in den Betrieben ist hoch. Das zeigt eine im Auftrag der IHK St. Gallen-Appenzell von einem Projektteam der FHS St. Gallen durchgeführte Umfrage. Aktuell Lernende, Ehemalige und Ausbildner aus den vier Berufsfeldern kaufmännische Berufe, technische Berufe, Detailhandel und Informatik wurden unter anderem zu ihrer Zufriedenheit bezüglich einer Reihe von Aspekten befragt: die vorhandenen und die benötigten Kompetenzen sowie die Nützlichkeit von Lerninhalten und -methoden an den drei Lernorten Arbeitsort, Berufsschule und überbetrieblicher Kurs. Die positiven Antworten zum Arbeitsort und das grosse Interesse an der Befragung zeigen, dass die Identifikation mit dem System der Berufsbildung nach wie vor sehr hoch ist.

Defizite bei schulischer Ausbildung

Deutlich weniger zufrieden als mit der praktischen Ausbildung sind die Befragten dagegen mit den anderen beiden Lernorten, den Berufsschulen und den überbetrieblichen Kursen. Während beim Arbeitsort bei allen vier Berufsfeldern eine Bewertung von «Gut» resultierte, lag diese bei den Berufsschulen und den überbetrieblichen Kursen meist nur im Bereich «Genügend» (siehe Abbildung). Ausnahmen bilden der Detailhandel mit einer positiven Bewertung und die Informatik, wo sowohl Berufsschulen als auch überbetriebliche Kurse im Mittel eine ungenügende Note erhielten. Das betrifft die gelehrten Inhalte sowie die inhaltliche und zeitliche Übereinstimmung der Inhalte mit den Bedürfnissen des Arbeitsplatzes. Anscheinend wird an den Schulen und Kursen oft an den Bedürfnissen der Lernenden vorbeigelehrt.

Anpassungsfähigkeit als Problem

Ein weiteres auffälliges Ergebnis der Befragung ist die bei allen vier Berufsfeldern bescheidene Einschätzung der eigenen IT-Kompetenzen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Berufsbildungssystem speziell bei neuen Themen an seine Grenzen stösst. Viele beteiligte Akteure und eine feinmaschige Regulierung begünstigen den Status quo. Bildungsverordnungen für die einzelnen Berufe werden vom Bund erlassen, Bildungspläne als Konkretisierung dieser Verordnungen vom Bund und von den Branchenverbänden. Der Bund hat auch bei den Prüfungsordnungen das letzte Wort. Die Kantone bestimmen zusammen mit Verbänden die Lehrpläne der Berufsschulen. Damit teilen sich Bund, Kantone, Verbände und Unternehmen die Verantwortung für die Ausbildung. Solange die Umgebung stabil ist, funktioniert dieses System gut. Bei neuen Herausforderungen stösst es dagegen an seine Grenzen. So kann es bis zur Verabschiedung eines neuen Berufsbildes zehn Jahre dauern, angesichts des schnellen Wandels der Arbeitswelt klar zu lange.

Mehr Dynamik mit neuen Strukturen

Die regulierten Bereiche der Ausbildung müssen in Zukunft schneller auf Veränderungen reagieren. Reformen sind deshalb nötig, vor allem solche, welche auf eine Vereinfachung der Strukturen abzielen. Dazu gehört die von Kurt Weigelt im folgenden Artikel vorgeschlagene Schaffung von «kompetenzorientierten Berufsfachschulen» in der Ostschweiz. Zudem müssen die bundesweiten Regeln schneller angepasst werden können. Dieses Ziel sollte ein zentraler Teil der auf Bundesebene laufenden Initiative «Berufsbildung 2030» werden.

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