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Die Steuern von morgen

Kuhhandel mit der Altersvorsorge zulasten der Jüngeren Die Steuern von morgen

Alterspyramide

Robert Stadler, stv. Direktor IHK St.Gallen-Appenzell

Die zunehmende Alterung führt gemäss einer Studie des Bundes bis 2045 zu Zusatzkosten von 150 Milliarden Franken. Der Staat verspricht mehr Leistungen, als mit Abgaben gedeckt sind. Diese Lücke wird der immer kleiner werdende Anteil an Erwerbsfähigen finanzieren müssen. Greift die Politik nicht rasch und deutlich korrigierend ein, wird der bisherige Generationenvertrag hinfällig. Auch wenn es nach wie vor ein Tabu ist: An einem höheren Rentenalter führt kein Weg mehr vorbei.

«Was du heute kannst besorgen, verschiebe nicht auf morgen» ist eine bekannte Weisheit, die Eltern gerne ihren Kindern mit auf den Lebensweg geben. Zumindest wenn es um die Herausforderungen geht, vor die uns die demografische Entwicklung stellt, handelt die Politik genau umgekehrt: Unangenehme Wahrheiten werden lieber nicht ausgesprochen und den nachfolgenden Generationen zur Problemlösung (sprich Bezahlung) überlassen.

Ein naheliegender Grund für dieses Verhalten in der Politik ist, dass es die Älteren sind, die an der Abstimmungsurne das Sagen haben. Bereits 2013 war die Mehrheit der potenziellen Wähler älter als 50 Jahre. Realpolitiker wissen darum und zimmern lieber mehrheitsfähige Kompromisse als langfristige Lösungen, die im Volk mit grösserer Wahrscheinlichkeit scheitern.

Doch mit dem Hinausschieben wird es nicht einfacher, die Probleme zu lösen: Die Altersgruppe der über 50-Jährigen wird in den kommenden Jahren weiter wachsen und ihr politisches Gewicht in die Waagschale werfen. Das Risiko blockierter Altersvorsorge-Reformen steigt. Wandelt sich unsere Demokratie gar zu einer Gerontokratie, einer Herrschaft der Alten?

Das Ende des Generationenvertrages?

Der vielbeschworene Generationenvertrag gerät jedenfalls immer stärker unter Druck. Dieser soll auf der einen Seite den älteren Generationen gegenüber fair sein, gleichzeitig aber den Handlungsspielraum der Jüngeren nicht ein­engen. Dies kommt immer mehr einer Quadratur des Kreises gleich, wie eine neue Studie des Bundes («Langfristperspektiven 2016») zeigt: Die Kosten, die im Zusammenhang mit der zunehmenden Alterung entstehen, sind gigantisch. Bis 2045 verursacht sie Zusatzkosten von 150 Milliarden Franken in der Altersvorsorge, der Gesundheit oder der Pflege. Die Staatsausgaben werden von heute 32 auf 36 Prozent des Bruttoinlandproduktes ansteigen. Gleichzeitig wird es anteilsmässig weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter geben, die für diese immer höheren Kosten aufkommen müssen.

Diese zusätzlichen Lasten tauchen in keiner ordentlichen Finanzplanung auf. Es sind implizite Schulden, die durch ungedeckte Leistungsversprechen entstehen und nicht durch künftige Steuereinnahmen gedeckt sind. Die Schweizer Generationenbilanz, wie sie die UBS zusammen mit dem Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg im Breisgau errechnet hat, gibt einen Eindruck über die implizite Staatsverschuldung (Basis 2011, siehe Abbildung). Die Generationenbilanz stellt für jeden einzelnen Jahrgang dar, wieviel er bis zum Lebensende noch an Steuern und Abgaben bezahlen wird und welchen Gegenwert an staatlichen Leistungen er noch bekommen wird. Der Saldo ergibt die Nettosteuerzahlung.

Die erwerbsfähigen Personen zwischen 20 und 64 Jahren tragen durch Sozialabgaben und höhere Steuern den grössten Teil zur Finanzierung des Staates bei. Gleichzeitig profitiert die gleiche Altersgruppe am wenigsten von Staatsausgaben: Während bei den Jüngeren die Ausbildungskosten zu Buche schlagen, sind es bei den Älteren Rentenzahlungen und Pflegekosten. So gesehen ist das kurvenförmige Diagramm der Generationenbilanz nicht überraschend. Doch die Ausprägung der Balken weist auf die Problematik hin: Staatliche Überschüsse fallen nur bei den 15- bis 45-Jährigen an. Umgekehrt ist es ausgerechnet die grosse Baby-Boomer-Generation der 55- bis 70-Jährigen, die in Zukunft zu den bedeutendsten Netto-Empfängern gehören wird. Es herrscht offensichtlich ein Missverhältnis zwischen zukünftigen Einnahmen und Ausgaben. Gemäss UBS-Studie beträgt diese implizite Staatsschuld 167,4 Prozent des BIP. Unsere Gesellschaft lebt zunehmend auf Pump. Und irgendjemand wird diese Rechnung einmal bezahlen müssen.

Rentenalter enttabuisieren

Dabei wäre es eigentlich klar: Wenn bei der Altersvorsorge langfristig mehr ausgegeben als eingenommen wird, muss gehandelt werden. Und die Optionen zur Behebung der strukturellen Herausforderungen sind ebenfalls klar: Entweder werden Renten gekürzt, Beiträge erhöht oder das Rentenalter heraufgesetzt.

Eine Anhebung des Rentenalters würde eine Reihe von Problemen entschärfen. Bei der AHV würde das Missverhältnis von Rentenzahlern und -empfängern wieder etwas korrigiert und bei der beruflichen Vorsorge müssten die Jungen die Renten ihrer älteren Kollegen nicht mehr im gleichen Mass quersubventionieren wie das heute aufgrund des zu tiefen Umwandlungssatzes der Fall ist.

Ganz abgesehen von den finanziellen Auswirkungen ist es aber auch objektiv betrachtet logisch, später in Rente zu gehen als bei der Einführung der AHV. 1948 wurden Männer durchschnittlich 66,4 und Frauen 71 Jahre alt. Mittlerweile liegt die Lebenserwartung bei 80,8 Jahren für Männer und 84,9 Jahren bei Frauen. Die Schweiz darf sich über eine der weltweit höchsten Lebenserwartungen freuen. Gleichzeitig liegt unser gesetzliches Rentenalter immer noch vergleichsweise tief. Mehr als die Hälfte der OECD-Staaten hat zuletzt beschlossen, das Rentenalter zu erhöhen: In Italien, Frankreich oder Deutschland arbeitet man künftig bis 67, in Irland und Grossbritannien sogar bis 68 Jahre – trotz tieferer Lebenserwartung als in der Schweiz.

Sich selber um Vorsorge kümmern

Angesichts dieser Tatsachen darf das Parlament auf keinen Fall die bereits zu hohen Leistungsversprechen bei der AHV noch weiter erhöhen. Gleiches gilt für das Volk, das am 25. September über die AHVplus-Initiative abstimmt.

Unabhängig von den politischen Entscheiden sollte sich jeder frühzeitig Gedanken machen zu seiner Altersvorsorge. Die ersten beiden Säulen der Altersvorsorge stehen mittlerweile auf so wackligen Beinen, dass sich jeder vermehrt selbst überlegen muss, wie er seinen Lebensunterhalt auch im Alter sichern kann. Zu hoffen, dass alles noch eine gute Wendung nehmen wird, ist wohl das falsche Rezept.