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Der neue Wirtschafts-Nationalismus

Auch in der Schweizer Politik gilt immer häufiger «Switzerland first» Der neue Wirtschafts-Nationalismus

Robert Stadler, Stv. Direktor / Leiter Kommunikation IHK

Die Schweiz ist eines der am stärksten globalisierten Länder der Welt und verdankt ihren Wohlstand zu einem grossen Teil ihrer Offenheit und dem internationalen Handel. Trotzdem ist auch die Schweiz kein Musterknabe in Sachen protektionistischer Massnahmen. Einige Beispiele von der Landwirtschaft über das Kabotageverbot bis zur kürzlich beschlossenen Netzsperre für Online-Glücksspiele.

Eigentlich ist es paradox: Als kleine Volkswirtschaft ist die Schweiz äusserst abhängig vom Ausland. Sie verdankt ihren Wohlstand zu einem grossen Teil ihrer Offenheit. Der harte Wind des internationalen Umfelds stählt die Schweizer Wirtschaft und macht sie fitter. Der Globalisierungsindex der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH setzt die Schweiz auf den weltweit fünften Platz.
Und trotzdem: Die Protektionismus-Welle hat die Schweiz genauso erfasst wie andere Industriestaaten, «America first» lässt grüssen. In vielen Bereichen reguliert und subventioniert auch in der Schweiz der Staat, sodass ausländische Anbieter benachteiligt werden. Ein Spiel, das auf kurze Frist bequem sein mag – mittel- und langfristig wird aber die Wettbewerbsfähigkeit leiden.

Landwirtschaft / Ernährungssouveränität

Die Welthandelsorganisation WTO veröffentlicht alle paar Jahre eine Analyse der Schweizer Handelspolitik, letztmals 2013. In der Kritik stand dabei der Protektionismus in der Landwirtschaft. Die Schweizer Einfuhrzölle betrugen im Durchschnitt 2,3 % für nichtlandwirtschaftliche Güter und 31,9 % für Agrarprodukte – in der Milchbranche lagen die durchschnittlichen Zölle sogar bei über 100 %, mit Spitzenwerten bis 1295 %.
Mit der «Initiative für Ernährungssicherheit» des Schweizer Bauernverbandes erlebte eine längst vergangen geglaubte Réduit-Rhetorik ihre Wiederauferstehung. Die Initiative, welche die Versorgung mit Lebensmitteln aus einheimischer Produktion stärken will, wurde zwar mittlerweile zugunsten eines (eher symbolischen) Gegenvorschlages zurückgezogen. Ähnlich gelagerte Initiativen – «Ernährungssouveränität» der Westschweizer Bauern­gewerkschaft Uniterre oder die «Fair-Food-Initiative» der Grünen – wollen noch weitergehen. Das Ziel bleibt aber das Gleiche: Heimatschutz statt Wettbewerb.

Kabotageverbot

Fernbuslinien werden immer beliebter im grenznahen Reise­verkehr. So fährt zum Beispiel der deutsche Anbieter Flixbus drei- bis viermal täglich von St. Gallen nach München. Doch das sogenannte Kabotageverbot ist im Landesverkehrsabkommen mit der EU geregelt und schränkt die Angebotspalette deutlich ein, um Schweizer Transport­anbieter und den öffentlichen Verkehr zu schützen. So dürfen keine Transporte (egal ob Personen oder Güter) von einem ausländischen Anbieter von einem zu einem anderen Ort innerhalb der Schweiz erfolgen. Wer also von Zürich im Bus Richtung Frankfurt fährt, darf nicht schon beim Zwischenhalt am Basler Bahnhof aussteigen, sondern frühestens beim Halt Basler Euroairport, der auf französischem Gebiet liegt.

Medialer Service public

Heute bezahlen die Schweizerinnen und Schweizer jährlich gut 1,2 Milliarden Franken für das nationale Rundfunksystem. 95% davon fliessen zur SRG, die übrigen Brosamen werden auf die privaten Radio- und TV-Stationen verteilt. Die SRG erhält aber nicht nur die bisher von der Billag eingezogene Radio- und Fernsehabgabe, sondern kann ihre Marktmacht auf Kosten der privaten Anbieter beim Verkauf von Werbeplätzen ausspielen.
Doch das ist nicht genug: Um den Abfluss von Werbegeldern ins Ausland einzuschränken, wurde die Werbevermarktungsfirma Admeira gegründet – ein Joint Venture zwischen SRG, Swisscom und Ringier. Eine problematische Verquickung von Privatwirtschaft und Staat, welche alternative private Anbieter benachteiligt.

Netzsperren bei Glücksspielen

Der Heimatschutz hat auch kürzlich beim Geldspielgesetz zugeschlagen (siehe auch Interview mit Marcel Dobler in diesem Heft). Mit dem neuen Gesetz wird erstmals in der Schweiz eine Netzsperre eingeführt. Diese führt dazu, dass der Zugriff auf Angebote ausländischer Online-Casinos blockiert wird. Vordergründig sollen damit Spielsüchtige geschützt werden. Viel eher gilt der Schutz aber den einheimischen Anbietern von Glücksspielen.
Dies ist mehrfach problematisch. Es ist ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit, eine Bevormundung der Kunden und auch für die Internetanbieter mit beträchtlichem Aufwand verbunden. Denn diese werden verpflichtet, ihre Kunden daran zu hindern, auf Geldspiel-Sites zu gelangen. Es ist zudem zu befürchten, dass der Entscheid einen Dammbruch darstellt: Ähnliche Netzsperren könnten auch in anderen Bereichen eingeführt werden, zum Beispiel bei urheberrechtlich geschützten Inhalten wie Musik oder Filmen.

Energiewende

Dass der Nationalismus auch von links-grüner Seite propagiert wird, zeigt sich nicht nur bei Ernährungs- und Arbeitsmarktthemen, sondern auch bei der Energiestrategie 2050. Eines der Hauptargumente der Befürworter des Energiegesetzes ist die Selbstversorgung. Die Schweiz dürfe nicht von ausländischer Stromproduktion abhängig sein. Dies ungeachtet der Tatsache, dass die Schweiz ihren Strombedarf nach Abschaltung der Kernkraftwerke auch bei verstärkter Förderung von erneuerbaren Energiequellen nicht mehr selbst decken kann. Wind- und Solarkraftwerke liefern nur unregelmässig Strom und können insbesondere die im Winterhalbjahr entstehende Versorgungslücke nicht stopfen. Effizienter wäre es, stärker auf internationale Zusammenarbeit zu setzen: Sei es mit Importen von Solarenergie aus sonnigeren Ländern und Windenergie aus windigeren Gegenden oder aber mit Emissionshandel, sollten am Ende doch Gaskombikraftwerke gebaut werden.

Postdienstleistungen

Im Gegensatz zum Ausland werden die Postdienstleistungen in der Schweiz nur mit zaghaften Schritten liberalisiert. So verfügt die Schweizerische Post nach wie vor über das Monopol für die Zustellung von Briefen bis 50 Gramm. Private Anbieter wie die in St. Gallen domizilierte Quickmail AG kritisieren dieses Restmonopol schon lange als «völlig veraltete Konstruktion».
Auch die Post-Tochter Postfinance profitiert von einer Sonderbehandlung: 2013 erhielt sie eine Banklizenz «light» und kann damit freier auf dem Markt agieren. Gleichzeitig profitiert Postfinance von einer impliziten Staatsgarantie.

Schutz mindert Wettbewerbsfähigkeit

Die Beispiele zeigen: Die Bereiche, die unter Staatsschutz stehen und der privaten Initiative weitgehend entzogen sind, mögen aus einer verklärten Schweizer Sicht vielleicht gute Ergebnisse liefern. Nur kümmert das ausserhalb unserer Landesgrenzen niemanden, weil so international jede Wettbewerbsfähigkeit fehlt.

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