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Der Detailhandel unter Druck

Zahlen und Fakten zu einer unterschätzten Branche Der Detailhandel unter Druck

Dr. Frank Bodmer, Leiter volkswirtschaftliche Analyse IHK

Der Ostschweizer Detailhandel wird allgemein unterschätzt: Es arbeiten mehr Menschen in dieser Branche als im Maschinenbau oder in der Finanzbranche. Doch die Beschäftigtenzahl im Detailhandel ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen: Zwischen 2008 und 2013 gingen in der Ostschweiz knapp 15% der Stellen verloren.Ein Zeichen für den massiven Strukturwandel, in dem der Detailhandel steckt. Dank kräftiger Produktivitätssteigerungen konnte er seinen Anteil an der gesamten Wertschöpfung dennoch leicht erhöhen.

Gemessen an der Beschäftigung ist der Detailhandel eine der grossen Branchen. Mit über 20 000 Vollzeitstellen und einem Beschäftigungsanteil von 6% weist der Detailhandel in der Ostschweiz mehr Stellen auf als der Maschinenbau oder die Finanzbranche. Der Detailhandel steht aber vor grossen Herausforderungen. Starker Schweizer Franken, Konkurrenz durch das Internet und strenge Schweizer Vorschriften machen dem traditionellen Ladengeschäft das Leben schwer.

Sinkende Beschäftigung bei kräftig steigender Produktivität

Strukturwandel ist im Detailhandel kein neues Phänomen. Ab den 1930er-Jahren lösten Grossverteiler wie Migros und Coop im Nahrungsmittelbereich langsam die Einzelhändler ab. Diese Entwicklung setzte sich in anderen Bereichen wie Bekleidung und Elektronik fort. In den 1970er-Jahren wurden vermehrt grosse Einkaufszentren in den Agglomerationen gebaut, welche den Detailhandel in den Innenstädten unter Druck setzten. Die Entwicklung hin zu grösseren Anbietern, welche Einkauf und Distribution zentralisierten und den Verkauf standardisierten, führte zu erheblichen Kostenersparnissen. Mit anderen Worten liessen sich die gleichen Leistungen mit weniger Inputs herstellen, die Produktivität stieg kräftig an.

Diese Entwicklung hält an und findet in den gesamtwirtschaftlichen Zahlen ihren Niederschlag. Der Anteil des Detailhandels an der schweizerischen Wertschöpfung blieb seit Beginn des neuen Jahrtausends praktisch konstant, ja er stieg sogar leicht (siehe Abbildung). Der Anteil der Beschäftigung sank dagegen deutlich, von etwa 8% im Jahre 2001 auf noch etwa 6% im Jahre 2013. Damit konnte der Detailhandel in diesen Jahren ein kräftiges Produktivitätswachstum erzielen. Für die Ostschweiz dürfte ähnliches gelten, wie die Zahlen zum sinkenden Beschäftigungsanteil andeuten.1 Die Zahlen zur Beschäftigung machen auch deutlich, welch dramatischen Strukturwandel der Detailhandel aktuell durchlebt. Zwischen 2008 und 2013 gingen in der Ostschweiz knapp 15% der Stellen verloren.

Die Rolle des starken Frankens

Seit Beginn der Schwäche des Euros im Jahre 2010 haben sich die Herausforderungen für den Detailhandel noch einmal akzentuiert. Die Einkäufe im grenznahen Ausland nahmen laufend zu und beliefen sich im Jahre 2015 bereits auf rund 11 Milliarden Franken. Sie machen damit inzwischen etwa 10% der gesamten Einkäufe der Schweizer Haushalte aus.2 Angesichts der teils dramatischen Preisunterschiede kann das nicht überraschen. Die Möglichkeiten des Schweizer Detailhandels, mit tieferen Preisen auf diese Herausforderung zu reagieren, sind begrenzt. Die Kosten für Personal werden durch die hohen schweizerischen Lohnkosten mitbestimmt. So verdient eine Verkäuferin in der Schweiz zum aktuellen Wechselkurs rund doppelt so viel wie eine Verkäuferin in Deutschland. Auch die Kosten für Mieten sind in der Schweiz deutlich höher. Bei den Nahrungsmitteln ist zudem die schweizerische Landwirtschaftspolitik mit dem Schutz der inländischen Produktion ein zentraler Grund für die hohen Preise. Und bei vielen Markenprodukten verhindern die Produzenten mit der Unterbindung von Parallelimporten eine Anpassung der Preise an das ausländische Preisniveau.

Das Internet als «Game-Changer»

Neben dem Einkaufstourismus setzt auch die zunehmende Konkurrenz durch das Internet den Ladengeschäften zu. Laut Schätzungen gaben die Schweizer Konsumenten im Jahr 2014 bereits 7 Milliarden Franken für Käufe von Konsumgütern im Internet aus. Der grösste Anteil entfiel auf Elektronik, wo bereits etwa 25% aller Käufe über das Internet getätigt werden, und auf Bekleidung, mit einem Anteil von etwa 15%. Doch auch bei Lebensmitteln nehmen die Käufe über das Internet zu. Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Preise sind deutlich tiefer als im traditionellen Detailhandel. Dazu bietet das Internet die Möglichkeit, Preise zu vergleichen, was zu weitgehender Preistransparenz führt. Und die Lieferung erfolgt nach Hause.

Es kann davon ausgegangen werden, dass dies erst der Anfang der Entwicklung ist. In Zukunft dürfte der Internethandel auch weitere Bereiche erfassen. Zudem erlaubt es das Internet, Handelsbarrieren zu umgehen. Produzenten können zwar Parallelimporte an Schweizer Händler unterbinden. Gegen direkte Einkäufe der Konsumenten im Ausland sind solche Restriktionen aber letztlich wirkungslos. Das Internet ermöglicht damit bereits jetzt Parallelimporte und dürfte so wesentlich wirksamer und zielgerechter sein als Änderungen im Kartellrecht.

Ausblick

Es stellt sich damit die Frage, wie die Zukunft des stationären Einzelhandels aussieht. Natürlich kann man auch im Detailhandel auf eine baldige Stärkung des Euro gegenüber dem Schweizer Franken hoffen. Eine solche könnte aber noch in weiter Ferne liegen und ändert zudem wenig an der grundlegenden Herausforderung. Traditionelle Kanäle mit direktem Kundenkontakt sind teuer und werden nur überleben, wenn sie entsprechenden Mehrwert schaffen. Der Einkauf selber muss einen Nutzen stiften, das heisst er muss ein positives Erlebnis sein. Wie ein solcher Mehrwert aussehen könnte, müssen die Entscheidungsträger in den Einzelhandelsunternehmen herausfinden. In der Verantwortung steht aber auch die Politik. Die Bedeutung des Einzelhandels für unsere Beschäftigung ist mit den richtigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu sichern. Definitiv nicht dazu gehören Massnahmen und Vorschriften wie die aktuellen Ladenöffnungszeiten, die bestehende Strukturen zementieren.