Energie

Auf dem Weg zur Wasserstoffregion

Interview mit Prof. Dr. Martin Friedl zum Potential und den Herausforderungen von Wasserstoff für die Bodenseeregion

15. Dezember 2023, Adrian Rossi

Wasserstoff spielt auf dem Weg zu einer fossilfreien Wirtschaft eine wichtige Rolle. Wie gut ist die Bodenseeregion bei dessen Nutzung aufgestellt? Dazu gab die IHK St.Gallen-Appenzell zusammen mit den Partnerorganisationen der B-IHK eine Studie in Auftrag. Im Gespräch erläutert Studienautor Prof. Dr. Markus Friedl das Potenzial und die Herausforderungen von Wasserstoff.

Herr Friedl, Sie leiten das Institut für Energietechnik an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Welche Forschungsschwerpunkte verfolgt Ihr Institut gerade?

Wir sind ein interdisziplinäres Institut, dessen 40 wissenschaftliche Mitarbeitende sich innerhalb ihrer Fachgruppen mit unterschiedlichen Technologien der erneuerbaren Energieversorgung beschäftigen: mit Windenergie, elektrischer Energietechnik, Gebäudetechnik und Power-to-X sowie mit der Digitalisierung. Letztere ist gerade im neuen Energiesystem wichtig.

In der Politik wird aktuell vor allem über den Zubau von Solar- und Windstrom diskutiert, auch die Debatte über Kernkraft erlebt eine gewisse Wiederbelebung. Wasserstoff scheint hingegen nicht dieselbe Priorität zu geniessen. Zu Recht?

Eine erneuerbare Energieversorgung beinhaltet sehr viele Aspekte. Die öffentliche Diskussion konzentriert sich sehr stark auf die Elektrizität, die aktuell nur ein Viertel der konsumierten Energie ausmacht. Die Bedeutung der Elektrizität wird zunehmen, aber auch erneuerbare chemische Energieträger werden wichtig sein, insbesondere Wasserstoff. Aktuell entwickelt sich das Thema sehr dynamisch, sowohl in der Schweiz als auch auf europäischer Ebene.

Für welche Anwendungen sehen Sie im Wasserstoff konkret eine Alternative zu fossilen Energieträgern?

Wasserstoff ist geeignet für Bereiche, die schwierig oder unmöglich zu elektrifizieren sind: Frachttransport auf der Strasse, Schifffahrt, Luftfahrt sowie einige Bereiche der Industrie wie zum Beispiel Hochtemperaturprozesse über 180 Grad oder die Stahlproduktion. Wasserstoff ist zwar mit Umwandlungsverlusten behaftet, aber besser speicherbar als Elektrizität. Insbesondere Methan, Methanol und Ammoniak, die aus Wasserstoff hergestellt werden können, sind gut speicherbar.

Sagen wir beispielsweise, ein Industrieunternehmen möchte Wasserstoff als Ersatz für Hochtemperaturprozesse, welche heute mit Erdgas oder Erdöl betrieben werden, prüfen. Was für konkrete Schritte können Sie einem solchen Unternehmen empfehlen?

Erdgas kann man kurzfristig mit Biogas ersetzen. Das Unternehmen kann daran arbeiten, mittelfristig Mehrstoffbrenner einzusetzen, die auch mit Wasserstoff betrieben werden können. Gleichzeitig sollte sich das Unternehmen Gedanken zur Herkunft des Wasserstoffs machen, und zwar auf zwei Ebenen: auf der regionalen Ebene mittels Beteiligung an einer Wasserstoffproduktion und auf der europäischen Ebene durch Bemühungen, sich an der jetzt entstehenden Infrastruktur anzuschliessen.

Wie Ihre Kurzstudie aufzeigt, ist man bei Letzterem in den Nachbarländern einen Schritt weiter: Deutschland und Österreich haben bereits eine Strategie für eine zukünftige Versorgung mit Wasserstoff. Die EU tätigt massive Investitionen in die Forschung und den Aufbau eines Wasserstoffnetzes. Droht die Schweiz hier abgehängt zu werden?

Das Thema Energie war schon immer ein grenzüberschreitendes Thema, das internationale Kooperationen verlangte. Mit Wasserstoff ist das nicht anders. Auch wenn die Schweiz noch keine nationale Wasserstoffstrategie hat, findet die Diskussion dazu in Fachkreisen jetzt gerade statt. Zudem ist die Schweiz mit aktuell 50 kommerziell betriebenen Wasserstofflastwagen und den aktuell 15 Wasserstofftankstellen dank der Initiative von H2 Energy, Hydrospider und dem Förderverein H2 Mobilität Schweiz in Europa führend. Wir sollten einfach am Ball bleiben.

In der Kurzstudie zeigen Sie auch die heutige Ausgangslage bezüglich einer Wasserstoffinfrastruktur in der Bodenseeregion auf. Wo verorten Sie konkret Handlungsbedarf, wenn die Region dereinst eine ausreichende Versorgung dieses Energieträgers sicherstellen will?

Es geht darum, gemeinsam Initiativen zu entwickeln, Wasserstoff zu produzieren, zu transportieren und zu verbrauchen sowie Importmöglichkeiten zu erschliessen. Dabei sind Kooperationen der Industrie mit Energieversorgern und der Politik erforderlich. Das war auch beim Aufbau des aktuellen Energiesystems so.

Eine Schwierigkeit bei der Verbreitung von Wasserstoff ist die Tatsache, dass die Infrastruktur zur Produktion und Nutzung parallel ausgebaut werden muss. Woran liegt das, und wie kann dieser Herausforderung begegnet werden?

Da spricht man vom Huhn-Ei-Problem. Wasserstoff ist ein neuer Energieträger, an den die gleichen Anforderungen bezüglich Verfügbarkeit, Sicherheit und Redundanz gestellt werden wie an die etablierten Energieträger. Setzt zum Beispiel ein Transportunternehmen auf erneuerbaren Wasserstoff und die einzige Wasserstofftankstelle in der Region ist defekt, dann ist das ein Problem. Kooperationen unterschiedlicher Stakeholder sind hier die richtige Antwort. Kurzfristig können auch die fossilen Energieträger für gewisse Sicherheiten sorgen.

Welche Rolle spielen dabei Unternehmen, für welche Wasserstoff eine potenzielle Alternative darstellen könnte?

Es ist wichtig, dass sich diese Unternehmen bei der Gestaltung eines nachhaltigen Energiesystems einbringen. So können sie die politischen Rahmenbedingungen mitgestalten und haben die Möglichkeit, sich als frühe Anwender der ersten Stunde in eine gute Position zu bringen.

Weitere Dokumente

B-IHK: Sechs Partner – ein Ziel

In der Vereinigung der Bodensee-Industrie- und -Handelskammern (B-IHK) haben sich sechs Wirtschaftskammern mit Sitz in drei Ländern zusammengeschlossen. Sie fördern den Wirtschaftsraum rund um den Bodensee als eigenständige, wettbewerbsstarke Region. Die B-IHK umfassen aus Deutschland die IHK Bodensee-Oberschwaben, Hochrhein-Bodensee und Schwaben, aus Österreich die Wirtschaftskammer Vorarlberg sowie aus der Schweiz die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau.