Gastartikel

Wie gelingt die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen?

Ein gescheiterter Berufseinstieg von Flüchtlingen kann teuer werden: Wer mit 25 nicht integriert ist, kostet den Staat bis zur Pension eine Million Franken. Wie lässt sich das verhindern?

1. April 2025, Dr. Claudia Nef

Fast die Hälfte der anerkannten Flüchtlinge im Kanton St.Gallen geht einer Erwerbstätigkeit nach – mehr als im schweizweiten Vergleich. Auch Geflüchtete aus der Ukraine sind hier häufiger beschäftigt. Dennoch bleibt die Sozialhilfequote hoch, da viele Einkommen nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu decken. Eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration ist ein steiniger Weg, Abkürzungen gibt es nicht.

Dieser Gastartikel wurde im Rahmen
unserer Schriftenreihe zum Thema
Zuwanderung publiziert:

Die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt gelingt den St.Galler Gemeinden im schweizweiten Vergleich überdurchschnittlich gut. Ende August 2024 waren 46% von insgesamt 2’164 anerkannten Flüchtlingen im erwerbsfähigen Alter (schweizweit 40%). Auch die Erwerbstätigkeitsquote von Personen aus der Ukraine ist im Kanton St.Gallen mit 32% höher als der landesweite Schnitt von 27%. Das erzielte Einkommen dieser Personen reicht aber oft nicht aus, um die Lebenshaltungskosten zu decken, was zu einer hohen Sozialhilfequote von gesamthaft rund 80% führt. Um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern und die politische Brisanz der Thematik zu entschärfen, ist eine signifikante Senkung dieser Quote notwendig.

«Flüchtlingen eine Chance zu geben, erfordert anfangs oft einen zusätzlichen Aufwand seitens der Unternehmen, doch in vielen Fällen zahlt sich dieses Engagement aus.»

Einstiegsmöglichkeiten – Unternehmen öffnen ihre Türen

Im Kanton St.Gallen sind die Gemeinden für die Integration von Flüchtlingen verantwortlich, anders als in anderen Kantonen. Gute Deutschkenntnisse sind nach wie vor unverzichtbar für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Deshalb investieren die St.Galler Gemeinden frühzeitig in Sprachkurs und Qualifizierungsmassnahmen. Ebenso entscheidend für die Integration ist die Bereitschaft der Unternehmen, Chancen zu bieten. Schnuppereinsätze und Praktikumsmöglichkeiten sind von unschätzbarem Wert. Der Einstieg in den Arbeitsmarkt erfolgt oft über diese Wege, die nicht selten zu einer Festanstellung führen. Einarbeitungszuschüsse oder Teillohnmodelle unterstützen in diesem Prozess. Flüchtlingen eine Chance zu geben, erfordert anfangs oft einen zusätzlichen Aufwand seitens der Unternehmen, doch in vielen Fällen zahlt sich dieses Engagement aus.

Die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die spezialisiertes Fachwissen und starke Netzwerke erfordert. Der Trägerverein Integrationsprojekte St.Gallen TISG betreibt fünf regionale Potenzialabklärungs- und Arbeitsintegrationsstellen (REPAS). Mit Standorten in verschiedenen Regionen sind sie nah an den Arbeitgebern und Bildungspartnern. Zusätzlich zu den Sprachkursen gibt es im Kanton mehr als 60 Qualifizierungsangebote für Flüchtlinge. Gemeinsam mit den Sozialämtern und den Geflüchteten wird der steinige Weg der Integration konsequent beschritten – einfache Abkürzungen gibt es dabei nicht. Motivation, Fleiss und Durchhaltevermögen sind unabdingbar.

Enge Begleitung und Einschulung bereiten auf Berufseinstieg vor

In den letzten Jahren sind viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in die Schweiz gekommen. Sie werden in speziellen Zentren bis zur Volljährigkeit intensiv beschult. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist Bildung. Deshalb haben die St.Galler Gemeinden ihre Integrationsarbeit von Beginn an auf Bildung ausgerichtet. Für junge Erwachsene führt der sicherste Weg zur finanziellen Unabhängigkeit über die Berufslehre. Derzeit leben etwa 200 junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren in begleiteten Wohngruppen des TISG. Alle sind in Brückenangeboten, Berufspraktika oder einer Lehre untergebracht. Weitere 200 Jugendliche werden in den Zentren auf diesen Weg vorbereitet.

«Gelingt es nicht, einen 25-Jährigen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, könnte diese Person den Steuerzahlenden bis zur Pensionierung etwa eine Million Franken kosten.»

Dr. Claudia Nef

Erfolgsfaktoren und Anreize für eine nachhaltige Integration

Das Ziel ist ein Leben ohne Sozialhilfe, integriert in die Gesellschaft. Nicht allen gelingt dies, aber jedes Jahr schliessen einige Flüchtlinge ihre Lehre erfolgreich ab und dienen als wichtige Vorbilder. Finanzielle Anreize spielen ebenfalls eine Rolle. Eine vorläufig aufgenommene Person oder eine Person mit Schutzstatus S erhält in den St.Galler Gemeinden 500 Franken Sozialhilfe pro Monat. Der Anreiz, durch eine berufliche Integration ein höheres Einkommen zu erzielen, ist daher gross. Gleichzeitig sind auch die Gemeinden motiviert, die Integration zu fördern, denn eine Person in der Sozialhilfe kostet sie jährlich insgesamt rund 25’000 Franken. Gelingt es nicht, einen 25-Jährigen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, könnte diese Person den Steuerzahlenden bis zur Pensionierung etwa eine Million Franken kosten.

Die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen ist eine Herausforderung von grosser gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Tragweite. Ein Scheitern der Integration hat dabei weitreichende soziale und politische Konsequenzen. Ein Erfolg hingegen bedeutet nicht nur eine gelungene gesellschaftliche Teilhabe, sondern auch einen bedeutenden volkswirtschaftlichen Mehrwert.

Zur Autorin: Dr. Claudia Nef ist seit 2020 Geschäftsführerin des Trägervereins Integrationsprojekte St.Gallen (TISG). Der TISG erfüllt mit seinen rund 230 Mitarbeitenden im Auftrag aller 75 St.Galler Gemeinden Aufgaben im Flüchtlingsbereich. Sie hat Ethnologie, Kommunikationswissenschaften und Volkswirtschaft studiert. Seit 2012 ist sie externe Dozentin an der Fachhochschule Ost im Fachbereich Soziale Arbeit.