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Alleingänge oder gemeinsame Spitalversorgung?

Statements Ostschweizer Kantonspolitiker Alleingänge oder gemeinsame Spitalversorgung?

Robert Stadler, stv. Direktor / Leiter Kommunikation IHK

Im Kanton St.Gallen werden trotz klarem Volksverdikt Spitalstandorte infrage gestellt, im Kanton Appenzell Ausserrhoden bleibt eine Schliessung des Spitals Heiden ein Thema und Appenzell Inner­rhoden baut ein neues Minispital. Was kann die Politik gegen die Überversorgung unternehmen? Braucht es in der Ostschweiz eine Spitalplanung über die Kantonsgrenzen hinaus? Kantonale Politiker aus allen drei Kantonen nehmen dazu Stellung.

Die Auslegeordnung ist zwar noch unvollständig – trotzdem: Unsere Regierung hat versagt

Die vom Verwaltungsrat der Spitalunternehmen kommunizierte Auslegeordnung ist noch unvollständig. Der Verwaltungsrat hat auf die betriebswirtschaftlichen Folgen bei der weiteren Umsetzung der eingeschlagenen Spitalstrategie mit neun Häusern aufmerksam gemacht. Der Vorschlag, fünf Regionalspitäler zu schliessen, scheint radikal. Zumindest hat die Politik nun für die weiteren Abwägungen eine klare Ausgangslage.
Die Erkenntnis, dass der eingeschlagene Weg in der Spitalstrategie wirtschaftlich kaum zu stemmen ist, ist jedoch nicht neu. Bereits vor der Volksabstimmung Ende 2014 haben einzelne Parteien, vor allem die SVP, ihre Vorbehalte angemeldet. Bereits noch früher wurde Regierungsrat Grüninger nicht mehr wiedergewählt; unter anderem weil er der Auffassung war, dass die kantonale Spitallandschaft mit allen Standorten so nicht überleben kann.

Walter Gartmann, Kantonsrat SVP SG, Kantonalparteipräsident SVP SG, Mels

Die Bürger sind in der Spital­debatte weiter, als es die Politik wahrhaben möchte

Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat eine zweieinhalbjährige Spitaldiskussion im September 2018 zumindest auf politischer Ebene abschliessen können. Diese zeigt: Der Bürger sieht, dass sich gewisse Dinge ändern müssen, und er ist bereit zu unterstützen, wenn der Prozess dazu sauber und transparent gestaltet wird. Denn es ist genau dieser Stimmbürger, der bereits heute über die Kantonsgrenze hinweg seine Leistungen bezieht und dorthin geht, wo es für ihn gerade am besten passt. Strukturerhaltung um der Struktur Willen ist weder für ihn noch uns Kantonsratsvertreter der FDP ein Argument.
Kantonsgrenzen interessieren immer weniger, wenn es um die eigene Gesundheit geht. In Konsequenz ist die Politik gehalten, das aktuelle «grenzüberschreitende» Verhalten nachzuvollziehen und gleichzeitig zukünftige Entwicklungen zu antizipieren (zum Beispiel ambulant vor stationär).
Wenn die Regierungen der Ostschweiz diese Rechnung selber machen, bleibt nur eine Haltung übrig: Zusammensitzen, zusammen planen und zusammen agieren. Nur ein gesamtheitliches und abgestimmtes Vorgehen der Ostschweizer Kantone bringt unser Gesundheitswesen zu vernünftigen Kosten und Investitionen weiter.

Patrick Kessler, Fraktionspräsident FDP AR, Teufen

Es braucht Transparenz, Offenheit und Bereitschaft für Veränderung

Es muss sich etwas ändern und zwar bald! Das ist allen klar. Die Gesundheitskosten steigen und die Spitäler geraten in Schieflage. Dem Zeitgeist entsprechend heisst das Zauberwort: Zentralisieren! Fünf Spitäler werden von der Landkarte gestrichen. Doch lohnt sich der Griff zum Vorschlaghammer? Wird es wirklich besser und günstiger? Wurde die bisherige Netzwerkstrategie konsequent umgesetzt? Beachtet man den Regionenausgleich angemessen?
Eine grundlegende, transparente und überkantonale Auslegeordnung fehlt und viele Fragen sind unbeantwortet – auch die Rolle des Kantonsspitals betreffend. Ganz offensichtlich wird in Kauf genommen, dass die Ostschweiz auch im Gesundheitsmarkt bald nur noch die zweite Geige spielt. Man wird auch den Verdacht nicht los, dass die Stra­tegie der St. Galler Spitäler aus der Frosch­perspektive des Zentrumsspitals entwickelt wurde statt aus der Vogelperspektive der Ostschweiz.
Nebst dem vorliegenden Grobkonzept sind Alternativstrategien notwendig.Es braucht Transparenz, Offenheit und die Bereitschaft für Veränderungen. Die Ostschweizer Verantwortungsträger müssen so rasch wie möglich an einen Tisch. Die (Spital-)Welt endet nicht an der Kantonsgrenze.

Mathias Müller, Kantonsrat CVP SG, Stadtpräsident Lichtensteig

Wille zur kantonsübergreifenden Zusammenarbeit fehlt

Kantonsübergreifende Spitalplanung und Kooperationen sind grundsätzlich zu begrüssen. Im Rahmen der aktuellen Netzwerkstrategie pflegen sowohl die St. Galler Regionalspitäler wie das Kantonsspital die Zusammenarbeit mit inner- und ausserkantonalen Institutionen. Die geltende Spitalfinanzierung ist jedoch grundsätzlich nicht auf die Zusammenarbeit über die Kantonsgrenzen hinweg ausgelegt beziehungsweise schafft keinerlei Anreize dafür. Deshalb haben sich solche Kooperationen bisher auch nicht durchgesetzt.
Für eine interkantonale Zusammenarbeit braucht es immer den Willen zur Zusammenarbeit von beiden Seiten. Denn trotz Offenheit und Angeboten unseres Kantons sind leider die Nachbarkantone und auch das Fürstentum Liechtenstein nicht zu einer tiefgreifenden Kooperation bereit.
SP-Grüne haben erfolglos beantragt, dass die Regierung beauftragt wird, mit den Nachbarkantonen Vorabklärungen für eine koordinierte stationäre Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu treffen. Die Angst zu verlieren und nicht profitieren zu können ist offensichtlich immer noch zu gross.

Laura Bucher, Co-Fraktionspräsidentin SP-Grüne-Fraktion SG, St. Margrethen

Kantönligeist oder funktionale Räume …

Dieses Thema wird immer wieder politisch diskutiert und vielfach nicht rational entschieden. Explizit im Gesundheitswesen ist dies immer wieder eine grosse Debatte. Die St. Galler Spitallandschaft kommt aus einer Zeit, in welcher die Patienten noch mit Ross und Wagen ins Spital gebracht wurden. Dennoch hat das St.Galler Stimmvolk vor gut vier Jahren klar Ja zur bestehenden Struktur gesagt, indem diverse Bau­kredite von knapp einer Milliarde für eine erste Etappe an der Urne angenommen wurden. Die IHK wie auch die SVP des Kantons St. Gallen haben einzelne Standorte infrage gestellt.
Ich bin froh, dass der heutige Verwaltungsrat diese Thematik nochmals aufgenommen hat und versucht, geplante und bewilligte Investitionen zu stoppen, sofern dies noch möglich ist. Mindestens so lange, bis eine zeitgerechte kantonsübergreifende Gesundheitsversorgung zur Beurteilung vorliegt. Ich hoffe, dass auch die anderen Ostschweizer Kantone übergreifende Planungen begrüssen. Im Wissen darum, dass erst an der letzten Landsgemeinde des Kantons Appenzell Innerrhoden einem neuen Spital mit maximal 26 Betten zugestimmt wurde.
Damit wir am Ball bleiben, müssen wir den Mut haben, neue Denkmuster zuzulassen und somit auch in neuen sinnvollen Räumen zu denken.

Michael Götte, Fraktionspräsident SVP SG, Leiter kant. Politik IHK St. Gallen-Appenzell, Tübach

Versorgungsregion Säntis im Gesundheitswesen

Das Gärtchendenken der Kantone im Gesundheitswesen schafft einen schädlichen Wettbewerb um medizinische Behandlungen. Gleich mehrere Spitäler, Kliniken und Praxen konkurrieren beispielsweise in unserer Region auf engstem Raum um Patientinnen und Patienten im Bereich der Orthopädie und Radiologie. Unkoordiniert ausgebaute Angebote erzeugen Überkapazitäten, die zu unnötigen medizinischen Behandlungen und zusätzlich steigenden Gesundheitskosten führen. Schliesslich müssen einmal gebaute Spitäler oder eingerichtete Gesundheitsangebote ausgelastet werden.
Deshalb hat die SP Appenzell Innerrhoden eine Initiative zur besser koordinierten Zusammenarbeit der drei Säntiskantone St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden im gesamten Gesundheitswesen eingereicht. Die Innerrhoder Regierung soll mit den Nachbarkantonen Verhandlungen zu einer gemeinsamen Versorgungsregion im Gesundheits­wesen aufnehmen. Expertinnen und Experten – nicht Politikerinnen und Politiker – sollen entscheiden, wo welche Angebote für eine gute medizinische Versorgung Sinn machen. Diese verbesserte Zusammenarbeit verhindert Überkapazitäten und bremst die Kosten­explosion. Dies spüren wir positiv in unserem Portemonnaie.

Martin Pfister, Präsident SP AI, Gonten

«Gesundheitsregion Ostschweiz» als strategisches Ziel

Die Gesundheitsversorgung ist eigentlich schon lange keine ausschliesslich «kantonale Angelegenheit» mehr – und trotzdem hüten die Kantone diesen Kompetenzbereich wie ihren Augapfel. Insgesamt gibt es in der Ostschweiz zu viele Spitäler. Eine Möglichkeit, die Ostschweizer Gesundheitspolitik in die Zukunft zu führen, wäre die Gründung einer «Gesundheitsregion Ostschweiz» – eines ­interkantonalen Spitalverbunds mit eigenen politischen Strukturen. Die Spitäler einer solchen Gesundheitsregion würden medizinische Leistungen besser und gleichzeitig kostengünstiger erbringen. Mit einer gleichzeitig flächendeckenden Notfallversorgung sowie zusätzlichen privaten, ambulanten und stationären Angeboten hätte die Bevölkerung dann die bestmögliche Gesundheitsversorgung, die gleichzeitig langfristig finanzierbar bliebe.
Am Zug wären nun die Ostschweizer Kantonsregierungen. Sie sträuben sich aber, ernsthaft über eine Organisation der Gesundheitspolitik in funktionalen Räumen nachzudenken und mehr Markt bei der Gesundheitsversorgung zuzulassen. Sie begründen das mit dem fehlenden politischen Willen innerhalb ihres Kantons. Vielleicht liegt es aber auch am fehlenden Mut der Regierungen. Schreiten sie nämlich voran und leisten Überzeugungsarbeit, wird die Bevölkerung folgen.

Beat Tinner, Fraktionspräsident FDP SG, Azmoos

Kleinere stationäre Einheiten sind günstiger als teure Zentren

Die Spitaldichte zwischen Rorschach und Wil ist hoch. Rechnet man die Privatspitäler und die öffentlichen ausserkantonalen Spitäler in Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden hinzu, dann ist Handlungsbedarf gegeben. Das Grobkonzept des Verwaltungsrates überzeugt nicht in allen Punkten. Mit seiner rein unternehmerischen Sicht beachtet es das Zentrum zu stark und die Regionen zu wenig. Insbesondere die spezialisierte, teure Medizin im Bereich der interventionellen, operativen Fachgebiete muss zusammengeführt und auch konsequent überkantonal geplant werden. Es wäre richtig, wenn komplexe Wahl­eingriffe nur noch an zwei Orten angeboten werden. Diese überkantonale Planung muss aber für alle Standorte gelten! So wichtig beispielsweise eine Herzchirurgie für das Kantonsspital St. Gallen wäre – eine 17. Herzchirurgie in der kleinen Schweiz können wir uns offensichtlich nicht mehr leisten, auch wenn sich der Verwaltungsrat ein universitäres Zentrum wünscht.
Die stationäre medizinische Grundversorgung mit leistungsstarken Notfallstationen muss kantonsweit gut erreichbar bleiben. Diese kleineren stationären Einheiten arbeiten lösungsorientiert und qualitativ gut. Sie sind günstiger als teure Zentren und werden vor allem von der älteren, oft nicht motorisierten Bevölkerung sehr geschätzt.

Dr. med. Thomas Warzinek, Kantonsrat CVP SG, Mels

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