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550 Jahre IHK

Ostschweizer Wirtschaftsgeschichte 550 Jahre IHK

Dr. Kurt Weigelt, IHK-Direktor

Überblick über fünf Jahrhunderte Ostschweizer Wirtschaftsgeschichte

15. Jahrhundert

Beginn der Renaissance und Übergang zur Neuzeit. Die Menschen befreien sich von den Zwängen des Mittelalters. Durch die Entwicklung von Wirtschaft und Handel entstehen neue Machtzentren. Gutenberg erfindet den Buchdruck, Kolumbus entdeckt Amerika.

Der St. Galler Leinwandhandel entwickelt sich zur ersten Exportindustrie der Eidgenossenschaft. Als Gegengewicht zu den Zünften organisieren sich die Fernhändler in der freien Gesellschaft zum Notenstein. Das älteste bekannte Mitgliederverzeichnis stammt aus dem Jahre 1466. Die wichtigsten Aufgaben liegen in der Handelspolitik und in der Organisation des kaufmännischen Botendienstes, dem Nürnberger und Lyoner Ordinari.

16. Jahrhundert

Die politische Landschaft Europas befindet sich im Umbruch. Kopernikus, Paracelsus, Leonardo da Vinci und andere ent­wickeln Kunst und Wissenschaft. Martin Luther löst als theologischer Urheber die Reformation aus.

St. Gallen wird reformiert, zwischen Abtei und Stadt baut man eine Schiedmauer. Die Gesellschaft zum Notenstein verkauft ihr Gesellschaftshaus am Obstmarkt an die Stadt und bezieht einen turmartigen Bau beim Brühltor. Dank der im Ewigen Frieden von 1516 mit Frankreich vereinbarten Handelsprivilegien nimmt die Bedeutung Lyons für den St. Galler Leinwandhandel stetig zu.

17. Jahrhundert

Der Dreissigjährige Krieg führt in Mitteleuropa zu einer politischen und wirtschaftlichen Katastrophe. Dazu kommen verheerende Pestepidemien. Frankreich wendet sich von den Grundsätzen der religiösen Toleranz ab.

In den 1630er-Jahren konstituiert sich neu eine Generalversammlung sämtlicher Kauf- und Ladenleute. Diese übernimmt die operativen Aufgaben der Gesellschaft zum Notenstein, die als gesellschaftliche Vereinigung vornehmer Familien bestehen bleibt. Die politischen Verwerfungen in den Absatzmärkten belasten die St. Galler Leinwandindustrie. Die Zunftverfassung verhindert jedoch eine Anpassung von Produkten und Produktion an die neuen Umstände. In Hauptwil und Trogen entstehen Konkurrenzstandorte. 1685 richten die Kaufleute für die Hugenottenflüchtlinge die «Eglise française de Saint-Gall» ein, die noch heute unter dem Patronat der IHK St. Gallen-Appenzell steht.

18. Jahrhundert

Die Aufklärung verändert die Welt. Vorerst herrscht aber noch die alte Ordnung. Mit der Erklärung der Menschenrechte in Amerika und der Französischen Revolution beginnt eine neue Zeitrechnung. Nach dem Einmarsch französischer Truppen geht die alte Eidgenossenschaft unter.

Baumwollprodukte verdrängen die Leinwand. Die starke Stellung der Zunft der Weber erschwert in der Stadt St. Gallen den Strukturwandel. 1730 gibt sich die aus der Gesellschaft zum Notenstein herausgewachsene Kaufmannschaft als Kaufmännische Corporation ein eigentliches Organisationsstatut. 1753 werden die ersten Mousselinegewebe bestickt. Die Handstickerei wird in der ganzen Ostschweiz rasch zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. 1798 liquidiert man mit den Zünften auch die Gesellschaft zum Notenstein.

19. Jahrhundert

In Europa und in Nordamerika setzen sich Marktwirtschaft und Industrialisierung durch. Die Eisenbahn beschleunigt den wirtschaftlichen Wandel. Nach 1870 gerät der liberale Aufbruch ins Stocken und wird durch protektionistische Tendenzen bedrängt.

Die Verbesserung der Handstickmaschine und die Erfindung der Schifflistickmaschine lösen einen kometenhaften Aufstieg der St. Galler Stickerei aus. Sie wird zum wichtigsten Exportprodukt der Schweiz. Gleichzeitig ent­wickelt sich die Textilmaschinenindustrie. 1864 verkauft die Kaufmännische Corporation ihr Postgebäude (heute Stadthaus) und bezieht als neuen Geschäftssitz die Nachbarliegenschaft, das «Haus zum Engelskopf». Da die Kaufmännische Corporation nur Stadtbürgern offensteht, gründen Exportkaufleute 1875 den Handels- und Industrieverein.

20. Jahrhundert

Zwei Weltkriege prägen die Welt und trennen Völker. 1989 wird in Berlin die Mauer niedergerissen, der real existierende Sozialismus verabschiedet sich von der Weltbühne. Im gleichen Jahr ent­wickelt Tim Berners-Lee am Cern in Genf das Internetprotokoll. Zeit und Raum sind nicht mehr, was sie über Jahrhunderte waren.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und der anschliessenden Weltwirtschaftskrise gerät die Stickereiindustrie in eine tiefe Krise. Die meisten Unternehmen verschwinden. Heute arbeitet noch ein Prozent der Erwerbstätigen der Ostschweiz in der Textilindustrie. Nach wie vor gibt es aber bedeutende Textilunternehmen, die mit kreativen, innovativen und hochwertigen Produkten den Namen «St. Gallen» in die ganze Welt tragen. 1991 fusionieren die Kaufmännische Corporation und der Handels- und Industrieverein zur Industrie- und Handelskammer St. Gallen-Appenzell.