4. Umfrage zur Coronakrise

Ostschweizer Wirtschaft beweist Resilienz, Situation bleibt fragil

Ostschweizer Wirtschaft bleibt fragil, Unternehmen stärken ihre Widerstandsfähigkeit für die zweite Welle

01. September 2020

Während die Corona-Fallzahlen schweizweit wieder ansteigen, zeigt die vierte IHK-Unternehmensumfrage, dass die Ostschweizer Unternehmen einem schwierigen zweiten Halbjahr gegenüberstehen. Die Resultate stehen im Einklang mit dem jüngst publizierten Prognose-Update der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Die Verfassung der Ostschweizer Wirtschaft bleibt insgesamt fragil. Die Unternehmen versuchen derweil, ihre betriebliche und finanzielle Widerstandsfähigkeit zu stärken.

MEM-Branche besonders betroffen

Besonders betroffen war die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie). Die Mehrheit der befragten MEM-Unternehmen erwartet, dass die Erschwernisse auch im zweiten Semester anhalten werden. Erfreulich ist jedoch, dass rund zwei Drittel der befragten MEM-Unternehmen davon ausgehen, dass sie bis Ende Jahr geringere Umsatzeinbussen verzeichnen werden.
Die Entwicklung im Baugewerbe zeigen in eine andere Richtung. Die Bauwirtschaft erlebte im ersten Halbjahr eine gute Geschäftsentwicklung und musste mehrheitlich nur geringe oder keine Umsatzeinbussen verzeichnen. Für das zweite Halbjahr wird jedoch eine Eintrübung erwartet.

Anpassung der internationalen Lieferketten, aber keine erhöhten Lagerbestände

Durch die Grenzschliessungen während des Lockdowns wurden die internationalen Lieferketten teilweise oder ganz unterbrochen. Ein Viertel der befragten Unternehmen war Ende April von unterbrochenen Lieferketten betroffen. Für die stark exportorientierte Ostschweizer Wirtschaft sind offene Grenzen überlebenswichtig. Im Nachgang zur Wiederöffnung der Grenze befragten die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau die Ostschweizer Unternehmen zu allfälligen Anpassungen ihrer internationalen Lieferketten. Rund ein Drittel der befragten Unternehmen streben eine Anpassung ihrer Lieferketten an. Im Fokus steht eine Überprüfung der bestehenden internationalen Lieferketten. Aber auch der Aufbau von zusätzlichen Lieferketten und eine Fokussierung auf europäische und inländische Partner bilden für die Unternehmen ernsthafte Optionen. Ein Ausbau der Lagerkapazitäten für Vorprodukte und Rohmaterialen steht für die Mehrheit nicht zur Diskussion, 7.2 Prozent der Unternehmen bauen Ihre Lagerkapazitäten sogar zurück.

Gefahr einer zweiten Welle: Unternehmen wenig optimistisch, bereiten sich aber vor

Die täglichen Fallzahlen bewegen sich derzeit im dreistelligen Bereich. In den anstehenden Herbst- und Wintermonaten könnte eine zweite Welle die Wirtschaft erneut hart treffen. Ein Grossteil der Ostschweizer Unternehmen wäre für eine mögliche zweite (Teil-)Lockdown-Phase nicht genügend vorbereitet. Über 60 Prozent der befragten Unternehmen geben zwar an, über Schutzkonzepte und die technische Infrastruktur zu verfügen. Weniger als die Hälfte verfügt jedoch über die notwendigen liquiden Reserven für eine zweite Lockdown-Phase. Während der Lockdown-Phase im Frühjahr beantragten nur knapp 30 Prozent der befragten Unternehmen einen staatlich verbürgten Überbrückungskredit, 85 Prozent davon als Vorsichtsmassnahme. Während in der ersten Lockdown-Phase viele Unternehmen von den aufgebauten liquiden Reserven zehren konnten, scheinen sich diese Reserven mittlerweile erschöpft zu haben.

Langanhaltende Unsicherheit

Die wirtschaftliche Lage scheint sich insgesamt nur langsam zu normalisieren. Rund 70 Prozent der Ostschweizer Unternehmen rechnen auch im zweiten Halbjahr mit einer niedrigeren Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen. Die Erwartungshaltung der Unternehmen hat sich seit der letzten Umfrage Ende April markant verschlechtert. Rechneten im April rund 43 Prozent damit, dass die Erschwernisse über 9 Monaten andauern werden, sind es im August 80 Prozent der Unternehmen. Knapp 40 Prozent gehen sogar von einer Dauer von über einem Jahr aus. Diese Unsicherheit wirkt sich negativ auf das Investitionsverhalten der Unternehmen aus. Über die Hälfte der Unternehmen gibt an, Investitionen im zweiten Halbjahr weiterhin zurückzuhalten.

Ostschweizer Wirtschaft: Phoenix oder Konkurswelle?

Die Ostschweizer Wirtschaft bewegt sich derzeit also in einem schwierigen Umfeld. Die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK-Thurgau wollten von den Ostschweizer Unternehmen wissen, ob sie aufgrund ihrer Kontakte mit Kunden und Lieferanten eine grössere Konkurswelle erwarten. Eine knappe Mehrheit erwartet keine grössere Konkurswelle. Rund 44 Prozent gehen dagegen von einer grösseren Konkurswelle aus. «Dieses Resultat verdeutlich sinnbildlich die fragile und unsichere Situation bei den Ostschweizer Unternehmen», sagt Alessandro Sgro, Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell. Es gelte, einen zweiten (Teil-)Lockdown zu verhindern. Zudem sollten die Unternehmen das Momentum nutzen, um die betriebliche Widerstandsfähigkeit zu stärken. «Hier sehen wir mit der Diversifikation von Lieferketten und Investitionen in die Digitalisierung positive Signale», so Sgro.

Weitere Dokumente

Zur Umfrage

Die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau haben die Umfrage zwischen dem 24. und dem 27. August 2020 unter ihren Mitgliedunternehmen durchgeführt. Insgesamt haben 457 Unternehmen daran teilgenommen.

Die Umfrage ist Bestandteil einer Umfrageserie zur Coronakrise unter Ostschweizer Unternehmen. Ziel dieser Umfrageserie ist es, ein systematisches Bild zur Verfassung, der aktuellen Risikoeinschätzung und der Zukunftsperspektiven der Ostschweizer Wirtschaft zu entwickeln und über den Krisenzeitraum nachverfolgen zu können.