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«Mit den Forderungen werden bei uns offene Türen eingerannt»

Interview mit Regierungsrat Stefan Kölliker «Mit den Forderungen werden bei uns offene Türen eingerannt»

Robert Stadler

Der St. Galler Regierungsrat und Vorsteher des Bildungsdepartements nimmt im Gespräch Stellung zu den Vorschlägen der IHK, die beim Konjunkturforum Zukunft Ostschweiz präsentiert wurden. Der SVP-Politiker verrät, dass das Bildungsdepartement bereits eine IT-Bildungsoffensive plant. So soll dem Kantonsrat demnächst ein Postulatsbericht zum Fachkräftemangel zugeleitet werden, der die Einführung von Informatikmittelschulen vorsieht.

Es wird immer wieder darauf verwiesen, dass sich die Region Genfersee dank der ETH Lausanne (EPFL) ausgesprochen positiv entwickelt. Wie wichtig sind gute Ausbildungsstätten und Universitäten für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region?

Stefan Kölliker: Gute Ausbildungsstätten und Universitäten sind für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region selbstverständlich wichtig. Die Kantone St. Gallen und Genf haben allerdings geografisch, politisch, wirtschaftlich und demografisch völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Die Metropolregion Genf–Lausanne profitiert vom urbanen Zentrum Genf mit Sitz vieler internationaler Organisationen, mit einem bedeutenden Bank- und Handelsplatz sowie diversen Industrien. Im Kanton St. Gallen hingegen machen die KMU sowie Forschung und Entwicklung einen wesentlichen Teil der Wirtschaft aus. Unsere Bildungsangebote sind entsprechend darauf ausgerichtet.

Angesichts der klar unterdurchschnittlichen wirtschaftlichen Entwicklung der Ostschweiz gibt es offensichtlichen Handlungsbedarf. Sind unsere Schulen einfach zu wenig gut, oder «produzieren» sie den Nachwuchs an den ­Bedürfnissen der Wirtschaft vorbei?

Weder noch. Die wirtschaftliche Entwicklung einer Region hängt von verschiedenen Faktoren ab. Der Kanton St.Gallen verfügt über ein erstklassiges Bildungssystem, welches die Volks- und Mittelschulen, aber auch die Berufsfachschulen, die Höheren Fachschulen und die Hochschulen umfasst. Die Bildungsinstitutionen und auch ich stehen in regelmässigem Austausch mit Exponenten der Wirtschaft und kennen deren Bedürfnisse. Es besteht jedoch klar ein Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung und den Aus- und Weiterbildungsangeboten in einer Region. Unternehmen siedeln sich dort an, wo diese Angebote bestehen. Damit ­qualifizierte, junge Fachkräfte im Kanton St. Gallen bleiben, müssen wir die gefragten Aus- und Weiterbildungsangebote bereit­stellen, auch wenn diese Studiengänge nicht von Anfang an rentabel sind. In der Vergangenheit wurden Studiengänge gestrichen oder nicht angeboten, weil sie nicht ganz kostendeckend waren. Hier muss in der Ostschweiz ein Umdenken stattfinden.

Was halten Sie ganz allgemein von der Forderung der IHK, den stark unter Druck stehenden Werkplatz stärker in Richtung Forschung und Entwicklung weiterzuentwickeln und dazu eine IT-Bildungsoffensive zu starten? Was erhoffen Sie sich davon?

Mit dieser Forderung werden bei uns offene Türen eingerannt. Wir planen seit diesem Frühjahr eine Informatikoffensive im Bildungsbereich. Diese umfasst alle Schulstufen.

Ein Vorschlag, die Einführung von Informatik-Mittelschulen, ist in Ihrem Departement bereits ausgearbeitet worden. Was bezwecken Sie damit?

Eine Informatik-Mittelschule (IMS) soll mit dem Postulatsbericht «Massnahmen zur Entschärfung des Fachkräftemangels und zur ­Arbeitskräftemobilisierung im Kanton St. Gallen» geschaffen werden, welcher dem Kantonsrat in Kürze zugeleitet wird. Konkret ist vorgesehen, für die Kantonsschulen am Brühl St. Gallen und Sargans sowie für die Berufsfachschule Rapperswil-Jona Lehrgänge zu schaffen, die als Zubringer zu den Informatik-Studiengängen den Fachhochschulen, aber auch zur generellen Berufsausbildung in Informatik dienen sollen. Die IMS führt zum Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis Informatik und zur Berufsmaturität, an den beiden Kantonsschulen in wirtschaftlicher und an der Berufsfachschule Rapperswil-Jona in technischer Richtung. Wir versprechen uns, dass die Absolventinnen und Absolventen dieser Aus­bildungsgänge bzw. der anschliessenden Studiengänge der st.gallischen Wirtschaft erhalten bleiben und so ein Beitrag zur Entschärfung des Fachkräftemangels geleistet werden kann.

Der zweite Vorschlag sieht eine standortübergreifende Informatikstrategie der Fachhochschule Ostschweiz vor. 
Ist diese Forderung so einfach umzusetzen, wie sie klingt?

Erstens bietet die HSR Rapperswil seit vielen Jahren erfolgreich einen Studiengang «Informatik» an. Zweitens wurde das Studienangebot im Kanton im Jahr 2014 mit dem Studiengang «Wirtschaftsingenieur» an der HSR Rapperswil und an der FHS St. Gallen erweitert. In diesem neuen Studiengang und auch in den bestehenden Ingenieurausbildungen der FHO (Fachhochschule Ostschweiz) werden auch wichtige Informatikkompetenzen vermittelt. Drittens bietet die FHS St. Gallen den Studiengang «Wirtschaft» schon heute mit Vertiefung Wirtschaftsinformatik an. Dieser Studiengang wird nun zu einem eigenstän­digen Studiengang «Wirtschaftsinformatik» ausgebaut. 
Dies alles zeigt, dass das Informatik-Studienangebot im Kanton vielfältig ist und laufend eine bedarfsorientierte Weiterentwicklung erfolgt. Die derzeitigen Strukturen bei den Fachhochschulen im Verbund der FHO sind für standortübergreifende Strategien noch nicht ideal. Das dieses Jahr gestartete Projekt zur «Neustrukturierung der Fachhochschulen im Kanton St. Gallen» soll unter anderem eine verstärkte Steuerung und Koordination ermöglichen.

Als drittes Element fordert die IHK den Aufbau eines Informatikstudiums an der Universität St. Gallen. Kann sich der Kanton dies leisten, oder muss er sich dies leisten mit Blick auf die langfristige Entwicklung?

Die Vision und Strategie der Universität St. Gallen setzt darauf an, dass die HSG als Wirtschaftsuniversität eine spezialisierte Universität ist, die für die Region Nutzen stiftet und dank der besonderen Qualität eine überregionale und internationale Ausstrahlung erreicht. Die HSG führt und entwickelt auch im Informatikbereich hochkarätige Angebote. Sie soll dies weiterhin tun. Da die finanziellen Aussichten des Staatshaushaltes im Kanton St. Gallen in den nächsten Jahren eingeschränkt bleiben, sind einem Angebotsausbau bei der HSG allerdings auch Grenzen gesetzt.

Zurzeit wird auch darüber gesprochen, Mediziner an der Universität St. Gallen auszubilden. Wird die HSG langsam aber sicher zu einer Volluniversität?

Wie generell in der Schweiz besteht auch im Kanton St. Gallen – und hier besonders! – ein Mangel an inländisch ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten. Dies zwingt vor allem die Spitäler zur Rekrutierung von im Ausland ausgebildetem Gesundheitspersonal. Diese Re­krutierung wird aber zusehends schwieriger und ist unter verschiedenen Aspekten problematisch und umstritten. Die Regierung des Kantons St. Gallen lässt nun im Rahmen einer Machbarkeitsstudie abklären, wie ein St.Galler Beitrag zur Ausbildung von ärztlichem Fachpersonal aussehen könnte. Es werden Varianten für medizinische Studienplätze unter Beteiligung des Kantonsspitals St. Gallen und der HSG geprüft. Ein Ausbau der HSG zu einer Volluniversität würde damit aber nicht eingeleitet.

Um den Aufbau eines Informatik­studiums finanzieren zu können, schlägt die IHK vor, den Verwendungszweck für das besondere Eigenkapital des Kantons entsprechend auszuweiten. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Ich finde den Vorschlag prüfenswert, die Verwendung des besonderen Eigenkapitals zu hinterfragen. Unter anderem wäre damit die Finanzierung des Initialaufwands zur Bereitstellung von neuen Aus- und Weiterbildungsangeboten möglich, die wir im Kanton ­St. Gallen zur Förderung der unternehmerischen Aktivität brauchen.