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«Es gibt nicht eine einzige militärische Führungsweise»

Divisionär Hans-Peter Kellerhals über die militärische Führung «Es gibt nicht eine einzige militärische Führungsweise»

Robert Stadler, Leiter Kommunikation / stv. Direktor IHK

Divisionär Hans-Peter Kellerhals steht der Territorialregion 4 seit 2012 als Kommandant vor. Im Gespräch mit IHKfacts erzählt er von seinen Führungsgrundsätzen und davon, was ihn bei der Zusammen­arbeit mit Menschen immer wieder fasziniert. Für Kellerhals ist die militärische Führungsweise noch immer zeitgemäss, zumal die erfolgreiche Führungsperson – egal ob in Armee oder Wirtschaft – je nach Rahmenbedingungen anders führt.

Vielerorts hat sich der Führungsstil verändert. Heute wird häufig eine partizipative Führung gelebt, bei der Mitarbeitende bei Entscheidungsprozessen eingebunden sind. Ist die strikt hierarchisch aufgebaute militärische Führungsstruktur heute noch zeitgemäss?

Hans-Peter Kellerhals: Hierarchisch aufgebaute Führungsstrukturen findet man nicht nur im militärischen Bereich. Solche Strukturen schliessen partizipative Führung aber gar nicht aus. Der Einbezug der Unterstellten in den Aktionsplanungsprozess und in die Entschlussfassung ist in den Armeereglementen sogar ausdrücklich vorgeschrieben. Unsere Führung erfolgt demnach grundsätzlich in der Auftragstaktik – Führung mit Zielvorgabe. Der Unterstellte wählt dann den einzuschlagenden Weg. Dies im Gegensatz zur Befehls­taktik: Ziel und Weg werden vorgegeben. In einer Armee wie der unseren, in der Miliz­soldaten und Milizkader als mündige Bürger mit Erfahrungshintergrund Dienst leisten, sind sehr gute Ergebnisse zu erreichen, wenn der Unterstellte in die Entschlussfassung miteinbezogen wird und ihm dann grösstmögliche Freiheit in der Auftragserfüllung – also in der Wahl des Weges – belassen wird.

Ist die hierarchische Führungsweise angesichts wechselnder sicherheitspolitischer Herausforderungen schnell genug, um im Krisenfall zu reagieren?

Ja, gerade wenn es schnell gehen muss und die Lage sich laufend ändert, dann ist entschlossenes und zielgerichtetes Handeln von grösster Bedeutung. Hierarchische Strukturen begünstigen dies und sind eine wichtige Voraussetzung, um in solchen Lagen genügen zu können. Solche Strukturen sind im Krisenfall auch deshalb von Vorteil, weil die Verantwortlichkeiten klar zugewiesen sind. Einheitliche Führung, klare Strukturen, festgelegte Verantwortlichkeiten und einfache Prozesse sind im Krisenfall ein absolutes Muss.

Inwiefern kann oder soll sich die militärische Führungsweise verändern, um sich den Herausforderungen besser stellen zu können?

Es gibt nicht die eine, einzig richtige militärische Führungsweise! Denn es gibt ja auch nicht nur die eine einzige Herausforderung, auf die man ein einzelnes Führungsrezept anwenden könnte. Die Wahl des Führungsstils soll eine bewusste Wahl sein! Unterschiedliche Lagen, unterschiedliche Aufgaben bedingen unterschiedliches Führungsverhalten. Die Durchführung eines Elterntages ist ja wirklich nicht mit den gleichen Führungsregeln zu meistern wie etwa der Einsatz eines militärischen Verbandes zur Bewältigung einer naturbedingten Katastrophe oder zur Abwehr eines militärischen Angriffs. Da geht es um Sein oder Nichtsein. Da ist klare Verantwortungsübernahme gefordert!
Der erfolgreiche militärische Chef spielt auf der ganzen Breite der «Führungs-Klaviatur»! Die Art und Weise der Führung hängt von den Rahmenbedingungen ab. Führung, egal ob im militärischen oder zivilen Kontext, hat sich daran auszurichten, eine gestellte Aufgabe zu erfüllen. Und weil die gesteckten Ziele nur mit den mir anvertrauten Kadern und Soldaten zu erreichen sind, spielt der Umgang mit «meinem Personal» eine zentrale Rolle. Ich wehre mich dagegen, von dem einen einzigen militärischen Führungsstil zu sprechen. Ich weiss schon, dann meint man «Befehl und absoluter Gehorsam», so quasi: nicht denken, nur tun, was man aufgetragen erhält! Der mitdenkende und eigenverantwortlich handelnde Chef und Unterstellte ist in jeder Lage wichtig. Gerade dieser Typus Soldat erkennt, in welcher Situation es richtig ist, einfach nur rasch zu gehorchen, und wann sein aktives Mitdenken und Mithandeln wichtig und gefordert ist.

Überträgt man Mitarbeitenden Freiheiten, sind sie in der Regel zufriedener. Liegt es an der Führungsweise, dass weniger Junge Interesse an der Armee zeigen und der Rückhalt in der Bevölkerung zu sinken scheint?

Es wäre spannend zu erfahren, wie Sie auf diese Aussage kommen. Junge Menschen haben heute grosses Interesse, rasch ihre Ausbildung abzuschliessen und weiterzukommen. Würde es zur obligatorischen Schulzeit einen Ersatzdienst geben, der den Weg in die Zukunft etwas leichter macht, dann würden wohl etliche diesen Weg gehen. Nicht aus mangelndem Interesse, sondern weil es einfach etwas leichter geht!
Diejenigen aber, welche Militärdienst leisten, erlebe ich heute als tolle Soldaten, welche interessierter, motivierter und leistungsfähiger sind, als ich das aus meiner Zeit kenne. Auch der Rückhalt in der Gesellschaft ist sehr stark – die Umfragewerte waren noch nie so gut. Ob das mit dem Führungsstil zusammenhängt, kann ich nicht beurteilen. Sicher ist, der leistungsfreudige junge Mensch hat im Militärdienst unvergleichbare Möglichkeiten, sich zu beweisen, mit Kameraden Erfolgserlebnisse zu haben und Verantwortung für eine Gruppe zu übernehmen – ganz konkret und praktisch!

1987 kommandierten Sie die Aufklärungskompanie III/8 und haben es mittlerweile zum Divisionär gebracht. Wie erlebten Sie persönlich die verschiedenen Stationen hinsichtlich Ihrer Führungsaufgabe?

Jede Führungsstufe hatte für mich etwas Faszinierendes. Und jede Stufe hat an mich als Chef jeweils ganz andere Anforderungen gestellt.
Als Gruppen- und Zugführer muss ich aus einem «zusammengewürfelten Haufen» ein Kollektiv formen und dieses Team auch in schwierigen Situationen motivieren, sein Bestes zu geben. Ich muss tagtäglich um Gefolgschaft meiner Soldaten ringen und diese erhalten. Ich interagiere ganz direkt mit meinen Soldaten. In jener Funktion habe ich sehr direkt gespürt, dass mein «Sein» und meine «Werte» zum Massstab meiner Soldaten werden. Ich habe die Bedeutung der Vorbildwirkung ganz hautnah kennen gelernt. Für mich hiess das: vorne sein und ein gutes, beispielhaftes Bild abgeben.
Als Kompanie- und Bataillonskommandant führe ich eine Aktion vor allem über unterstellte Chefs mittels Zielvorgabe. Vorbild zu sein ist immer noch sehr wichtig. Aber ich rücke rein von meiner Aufgabe her etwas weg vom «mitreissenden Motivator», der immer zuvorderst zu finden ist, hin zum ruhigen, überlegten Dirigenten eines grösseren Kollektivs. Als Kompaniekommandant war ich plötzlich der «Haupt»-Mann, der als einzelne Person seine Führungswirkung zu erzeugen hat. Als Bataillonskommandant stand mir plötzlich ein Stab zur Seite: nochmals ein Quantensprung! Ich bin mit meinen Vorstellungen, Ideen und Erfahrungen nicht mehr alleine. Ich erfahre Unterstützung von einem «Denk- und Unterstützungsteam».
Eine Brigade oder eine Division zu führen, verlangt dann noch zusätzlich operatives Gespür. Ich war plötzlich nicht nur «Konzertmeister», der eine Partitur zeit- und situationsgemäss interpretiert, ich bin gleichzeitig noch zum «Komponisten» geworden, der auch einmal eine eigene Musik macht.
Um die Frage abzuschliessen: Jede Stufe bescherte mir Höhepunkte! Der beeindruckende Einsatzwille und der nie versiegende Erfindungsgeist meiner Leute hat mich über meine ganze militärische Laufbahn hinweg begeistert.

Heute sind Ihnen als Kommandant der Territorialregion 4 keine Truppen mehr permanent unterstellt, sondern diese werden Ihnen situativ zugewiesen. Eine besondere Herausforderung?

Zurzeit sind mir drei Bataillone unterstellt. Aber Sie haben schon recht: Wenn in «meiner Region» eine Situation eintreffen sollte, in welcher die Armee zum Einsatz kommt, dann wird nicht zwingend auch eines meiner Bataillone eingesetzt. Die Truppen werden mir für den konkreten Einsatz massgeschneidert zugewiesen.
Die Zusammenarbeit mit Menschen, die ich vielleicht noch nie gesehen habe – dies dann auch noch in einer Krise – funktioniert aber sehr gut, weil wir alle im Militär gelernt haben, dieselbe Sprache zu sprechen. Die gemeinsamen Standards, die einexerzierten Planungs- und Führungsverfahren und der Zwang, gemeinsam und fokussiert handeln zu müssen, hilft da natürlich schon enorm.

Es wird immer wieder betont, wie stark man von der Führungsausbildung in der Schweizer Armee für den beruflichen Alltag profitieren kann. Sind das nur Werbeaussagen oder was kann ein Manager heute vom Militär lernen?

Diese «Werbung» ist immerhin Werbung ohne falsche Versprechung! In der Armee kann man in sehr jungen Jahren Führungserfahrung sammeln. Konkret und handfest. In extremen oder ganz alltäglichen Situationen. Man lernt Konflikte auszutragen und mit Unterstellten zu kommunizieren. Man lernt Prioritäten zu setzen, eine Aktion zu strukturieren und Aufgaben zu delegieren. Und ganz besonders: Man kann nicht ausweichen, muss auch unter Druck und unter Unsicherheit noch zielgerichtet handeln – man muss sich stets als Chef zeigen. Ein hoher Profit ist auch im Bereich der Personalführung zu erzielen: In einer Schicksalsgemeinschaft können Probleme nicht mit Kündigungen oder mit Bonusanreizen erledigt werden. Das geht nur mit überzeugender Führungsleistung. Ich denke, das alles ist Pflichtstoff in einer sehr soliden und praxisnahen «Manager-Lehre». Wobei ich natürlich lieber vom «Chef» als vom «Manager» spreche. Der Manager hat auch etwas Verwaltendes an sich. Ja, bei uns kann einer etwas fürs Leben lernen!