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«Digitalisierung betrifft alle»

FDP-Nationalrat Marcel Dobler im Interview «Digitalisierung betrifft alle»

Simon Scherrer

Digitec-Gründer und FDP-Nationalrat Marcel Dobler ist einer der wenigen IT-affinen Parlamentarier in Bern – und seit Mitte März neuer Präsident von ICTswitzerland. Im Interview mit IHKfacts spricht Dobler über seine neue Rolle im Schweizer IT-Dachverband, die Stellung der Informationstechnologie in Wirtschaft und Politik und die protektionistischen Netzsperren im Geldspielgesetz, die von ihm im Nationalrat bekämpft wurden.

Herr Dobler, herzliche Gratulation zur Wahl als Präsident von ICTswitzerland! Verbände, auch IT-Verbände, gibt es viele. Was zeichnet ICTswitzerland aus?

Marcel Dobler: ICTswitzerland ist der grösste politische Digitalisierungsdachverband der Schweiz. Wir wirken als politische Vertretung der Informations- und Kommunikationswirtschaft in der Schweiz. Diese politische Arbeit beinhaltet vieles: Wir gestalten beispielsweise die ICT-Berufsbildung in der Schweiz aktiv mit und setzen uns für IT-freundliche Rahmenbedingungen ein. Wir schaffen Voraussetzungen für eine starke und diversifizierte sowie gut positionierte Schweizer ICT-Industrie. Was ICTswitzerland ausserdem von anderen Verbänden abhebt, sind unsere Grossmitglieder wie Microsoft Schweiz, Google Switzerland oder Credit Suisse. Kleinere IT-Unternehmen sind eher Mitglied beim Branchenverband swico, der – nebst anderen Verbänden – wiederum bei uns Mitglied ist.

Was hat Sie motiviert, dieses Präsidium zu übernehmen?

Grundsätzlich bin ich sehr kritisch gegenüber Verbänden, da Verbandsvertreter in ihrer Funktion nicht selten zu reinen Lobbyisten werden. Ich bin aus Idealismus in der Politik und konnte mir eine Verbandstätigkeit deshalb nie vorstellen – bis das Präsidium von ICTswitzerland zum Thema wurde. Dieses Amt passte für mich wie die Faust aufs Auge. In meiner Vergangenheit wirkte ich 15 Jahre lang in der IT. Das erlaubt mir, mit hoher Glaubwürdigkeit für diesen Verband tätig zu sein.

Was wollen Sie in Ihrer Präsidentschaft mit ICTswitzerland erreichen?

Neben der Weiterentwicklung der bestehenden Tätigkeiten möchte ich vor allem erreichen, dass der Begriff «ICT» in einem breiteren Sinn verstanden wird. Die Informations- und Kommunikationstechnologie ist längst nicht mehr nur eine Branche, sondern ist zum Megatrend der Digitalisierung geworden. Und Digitalisierung betrifft alle. Ich arbeite dafür, dass unser Verband den Lead beim Thema «Digitalisierung» ganz allgemein übernehmen kann.

Sie fanden bereits zur IT, bevor das gewaltige Potenzial der Technologie im Alltag sichtbar war. Wie?

Früher verbrachte ich einen grossen Teil meiner Freizeit mit Computerspielen. Damals war das noch mit viel Konfigurationsarbeit am Computer verbunden. Man musste noch selbst programmieren! Irgendwann machte ich mein Hobby dann zum Beruf. Ich glaube aber nicht, dass Programmierkurse wirklich der richtige Weg sind, um IT-Wissen zu vermitteln. Da die Programmierung nur ein Spezialgebiet in der Informatik ist, wäre das zu eng gefasst. Stattdessen sollten alle so viel Basiswissen über die Technologie haben, dass sie Fragen beantworten können wie: Was ist eine Cloud?

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der «IT-Bildungsoffensive» der IHK? Zu den Vorschlägen dieses Projekts gehören die Einführung von Informatik-Mittelschulen, eine standortübergreifende Informatikstrategie der St.Galler Fachhochschulen und ein Informatikstudium an der HSG.

Dieses Projekt finde ich ausgezeichnet, alle diese Ziele sind sehr erstrebenswert. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass eine Informatikstrategie in der Bildungspolitik noch viel mehr umfassen müsste. Auf allen Ebenen des Bildungssystems muss die Informatik mehr Platz bekommen, gerade auch in den Primarschulen oder in den Berufslehren. Besonders beim Lehrplan 21 lässt das Reformtempo zu wünschen übrig: Der Lehrplan 21 ist in diesem Bereich zwar gut, doch bis zum Beispiel im Kanton Aargau Leute mit diesem Wissen aus der Schule kommen, wird es 2030! In der heutigen Zeit ist das inakzeptabel. Zusätzlich wünsche ich mir, ein IT-Security-Studium zu schaffen. Die Ostschweiz könnte den Lead übernehmen beim Thema IT-Sicherheitsausbildung.

Abgesehen von diesen Herausforderungen im Bildungsbereich: Wo steht der IT-Standort Ostschweiz heute? Wo hat er sonst noch Nachholbedarf?

Der Verein «IT St. Gallen rockt!» nimmt derzeit Erhebungen vor, wie es um die ICT-Wirtschaft in der Ostschweiz steht, gerade auch im Vergleich zu anderen Regionen. Grundsätzlich gilt aber ohnehin: Jeder Kanton in der Schweiz hat Nachholbedarf in Sachen IT. In der Ostschweiz wäre es sicher ein guter Ansatzpunkt, die Zusammenarbeit der HSG mit der ETH zu intensivieren. Ein Beispiel: ETH-Spin-offs profitieren stark von den ausländischen Partneruniversitäten der ETH, die Zugang zu Märkten öffnen, die weit grösser sind als der schweizerische. Auf Anfrage hat mir die ETH mitgeteilt, dass dieses Netzwerk auch anderen Start-ups zur Verfügung steht. Nur weiss das fast niemand! Auch Start-ups aus der Ostschweiz könnten und sollten solche Möglichkeiten nutzen. Heute fehlt es an einer schweizweiten Charta, welche die fragmentierten Unterstützungsangebote aufzeigt und beratend tätig ist.

Gibt es weitere politische Reformen, die man an die Hand nehmen könnte, um das Potenzial der ICT-Wirtschaft verstärkt auszuschöpfen?

Natürlich. Ich habe beispielsweise im Parlament die Motion eingereicht, dass künftig ausländische Top-Absolventen, die in der Schweiz studiert haben, von den Drittstaatenkontingenten ausgenommen werden sollen. Es macht keinen Sinn, dass wir viel Geld in die Ausbildung dieser Leute investieren, nur damit wir sie nachher aus dem Land schicken. Das gilt insbesondere in Branchen mit ausgewiesenem Fachkräftemangel wie der Informatik.

Wie viel Gehör finden IT-spezifische Themen im Parlament?

Tatsache ist, dass nur eine Handvoll Parlamentarier im Bereich IT wirklich Kompetenzen besitzen. Das Positive daran ist, dass diesen Leuten sehr genau zugehört wird, wenn es um reine IT-Themen geht. Die Kompetenz wird mit Vertrauen belohnt. Es gibt jedoch auch Geschäfte, die nicht nur für die IT-Wirtschaft relevant sind, sondern wo auch andere Kräfte ihre eigenen, meist gegenteiligen Interessen haben. Das beste Beispiel sind die Internetsperren für ausländische Glücksspiel-Anbieter, die das Parlament im Zuge des neuen Geldspielgesetzes beschlossen hat. Zu den Profiteuren des Lotteriefonds, den man mit diesen Sperren schützen will, gehören beispielsweise der Sport, die Kultur und die Kantone. Gegen diese Lobbys hatten wir keine Chance.

Die Netzsperren im Geldspielgesetz – ein Symptom der mangelnden Informatikkompetenz in Bundesbern?

Das kann man so sagen. Diese Netzsperren sind absolut einfach zu umgehen. Googeln Sie einmal nach «Netzsperren umgehen». In kürzester Zeit finden Sie dann heraus, wie Sie auf die verbotenen Angebote zugreifen können. Das Stossendste an diesen Netzsperren ist jedoch nicht, dass sie leicht zu umgehen sind. Vielmehr missfällt mir, dass man mit diesem Entscheid ein Präjudiz geschaffen hat. Der Bundesrat erhält anscheinend täglich Briefe mit Vorschlägen, was man noch alles sperren müsste. Dass man jetzt erstmals die Freiheit des Internets gewissen Sonderinteressen geopfert hat, könnte fatal sein. Wir dürfen innovationsarme Branchen, die als Bittsteller nach Bern kommen und den Wettbewerb ausschalten wollen, nicht leichtfertig belohnen.

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