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«Die IT-Ausbildung muss viel höher gewichtet werden»

­Megatrend Digitalisierung «Die IT-Ausbildung muss viel höher gewichtet werden»

Robert Stadler, stv. Direktor IHK

Die Ostschweiz hat gute Chancen, den Megatrend der Digitalisierung für sich zu nutzen. Allerdings muss sie die Informatikausbildung auf allen Schulstufen verstärken, findet Daniel Senn. Der Applika­tionsentwicklungsleiter und das Mitglied der Geschäftsleitung von Abacus nimmt im Interview Stellung zur Zukunftsagenda der IHK, zu den Herausforderungen in der Ostschweiz und wie Abacus und andere IT-Unternehmen die «softurbane Ostschweiz» bereits leben.

Bei «Zukunft Ostschweiz» wurde die IHK-Zukunftsagenda präsentiert. Zum Thema Arbeitsort lautet die Vision: «Die Kernregion Ostschweiz ist der bevorzugte Arbeitsort für Menschen, die an einer Zukunft mit intelligenten und digital vernetzten Produkten und Dienstleistungen arbeiten.» Was können Sie dieser Vision abgewinnen?

Daniel Senn: Dieser Vision leben wir persönlich bereits seit mehr als 30 Jahren nach! Wir sind wegen des Studiums aus anderen Kantonen in die Ostschweiz gekommen und ­haben im Lauf der Zeit die Vorzüge dieser ­Region schätzen und lieben gelernt. Wir sind inzwischen hier voll integriert, ja sogar heimisch geworden, und könnten uns nicht einmal mehr vorstellen, in unsere Herkunftskantone zurückzukehren. In der Ostschweiz ist es uns gelungen, unsere Vorstellung einer umfassenden Business-Software zu verwirklichen und diese als einen gesamtschweizerischen De-facto-Standard zu etablieren. Unsere Software ist umfassend vernetz- und erweiterbar und wird zunehmend «intelligenter», wie es die jüngsten Entwicklungsschritte in Richtung selbstlernender Systeme für die Belegver­arbeitung zeigen.

Abacus ist ein führender Anbieter von Business-Software in der Schweiz und operiert aus Wittenbach. Wieso ist Abacus in der Ostschweiz beheimatet?

Unmittelbar nach Abschluss unseres HSG-Studiums haben wir unsere Softwarefirma gegründet. Angesichts unserer knappen finanziellen Ressourcen war der Studienort St. Gallen die logische Wahl für den Firmensitz des Start-ups. Dass die Ostschweiz noch immer unser bevorzugter Standort ist, ist den Mitarbeitenden geschuldet, die am Aufbau der Firma mitgearbeitet haben und denen ein wesentlicher Anteil am nachhaltigen Erfolg des Unternehmens zu verdanken ist.

In Zeiten der Digitalisierung und der Globalisierung verliert die geogra­fische Nähe an Bedeutung. Software lässt sich relativ einfach überall auf der Welt verkaufen. Ist es völlig egal, wo eine Softwarefirma ihren Sitz hat? Wie sieht das bei Abacus aus?

Es ist zweifellos eine der Stärken von Abacus, dass die Software nicht irgendwo im nahen oder fernen Ausland entwickelt wird, ­sondern in der Ostschweiz und somit in ­unmittelbarer Nachbarschaft zu unseren Programm­anwendern. Denn gesetzliche Entwicklungen und Änderungen bei schweizspezifischen Rahmenbedingungen und ­Eigenheiten wie etwa beim «Einheitlichen Lohnmeldeverfahren» und beim Zahlungsverkehr stehen bei unseren Entwicklern immer auf dem Radar. Damit ist garantiert, dass sich bei Bedarf unsere Nutzer stets auf zeitgerechte Anpassungen und Erweiterungen der Software verlassen können. Denn Sicherheit und Vertrauen sind zentrale Anliegen, die ein ERP-Softwarehersteller gegenüber seiner Kundschaft erfüllen muss, um längerfristig als partnerschaftlicher Lieferant glaubwürdig zu bleiben.

Die nahezu unbeschränkten Möglichkeiten der Digitalisierung werden für die wirtschaftliche Dynamik immer wichtiger. Wie erleben Sie dies?

Die Digitalisierung durchdringt heute mehr denn je Lebensbereiche im persönlichen und geschäftlichen Umfeld. KMU wollen mit Softwarelösungen ihre Kernprozesse so weit wie möglich automatisieren. Ein Mittel dazu sind digitale Werkzeuge, die wir im Rahmen unserer ERP-Software zur Verfügung stellen. Beispiele dafür sind die integrierte Original­belegscanning-Lösung oder die elektronische Archivierung von Originaldokumenten wie etwa Lieferantenrechnungen.

Wo sehen Sie Chancen und Risiken für die Ostschweiz?

Die Digitalisierung hat die Ostschweiz wie jede andere Region der Welt erfasst. Als Produktionsstandort hat die Ostschweiz nur dann eine Chance, wenn hier eine hohe ­Automatisierung zusammen mit hohen ­Qualitätsanforderungen garantiert werden kann.
Dazu braucht es in Zukunft überdurchschnittlich viel Informatik-Know-how. Das­selbe gilt auch für die Dienstleistungsbranche. Viele Stellen aus dem KV-Umfeld werden automatisiert. So ist etwa Abacus daran, Rechnungen, Lieferscheine, und Spesenbelege automatisch erkennbar, verarbeitbar und verbuchbar zu machen. Das macht sehr viele klassische administrative Aufgaben überflüssig und tangiert insbesondere auch den ­eigentlichen Kernbereich der Treuhand­branche. Im Gegenzug braucht es mehr Informatiker, die diese Systeme entwickeln und betreuen. Gleichzeitig wird mehr Informatik-Know-how auf allen Stufen anderer Berufszweige benötigt.

Wie gut gut gewappnet ist die Ostschweiz für diese Entwicklung?

Die Ostschweiz läuft Gefahr, zu spät auf diesen Paradigmenwechsel zu reagieren, indem sie derzeit zu wenig Informatiker selber ausbildet. Weil kaum ausreichend Fachleute in unsere Region kommen dürften, wächst die Gefahr, dass das regionale Wirtschaftswachstum abgebremst wird. Eine Chance zur Besserung bietet sich nur dann, wenn ab sofort mit Hochdruck daran gearbeitet wird, das ­Informatikwissen auf allen Stufen bis zur akademischen zu optimieren und zu verbreitern, damit wenigstens in einigen Jahren bedeutend mehr regional ausgebildete Fachpersonen als heute zur Verfügung stehen. Dabei sind auch die Unternehmen selbst gefordert. Abacus etwa hat deshalb Anfang Jahr eine hauseigene Academy mit Lehrgängen für den Bereich Programmierung ins Leben gerufen, in der Spezialisten in zwei Vollzeitpensen Lehrlinge und Praktikanten intern betreuen und Umschulungen begleiten.

Wo muss sich die Ostschweiz bezüglich Informatikausbildung verbessern?

Die IT-Ausbildung muss bereits in der Primarschule, Unterstufe und Oberstufe viel höher gewichtet werden. Es kann nicht sein, dass in den meisten Oberstufen Informatik ein Wahlfach ist oder nur 1–2 fixe Lektionen pro Woche IT-Unterricht gehalten werden. Informatik – als Begriff weit gefasst einschliesslich Robotik – wird unser ganzes Leben durchdringen und wird mindestens so wichtig werden wie Mathematik. Wir müssen den Kindern in der Primarschule und Unterstufe bereits Grundkenntnisse beibringen und Freude an der Informatik vermitteln. Wir müssen uns hier am Ausland orientieren, beispielsweise an England.
In der Oberstufe muss Informatik ein gewichtiges Fach werden. Und auch in den Lehr­plänen verschiedener Ausbildungen, allen ­voran beim KV, muss die Informatik einen ­höheren Stellenwert erhalten. Solche Berufe sind in Zukunft ohne IT nicht denkbar. Das Angebot an höheren Ausbildungen nach der Lehre – HSR, NTB Buchs, ZbW, FHSG, bald Universität St. Gallen – ist hingegen gut.

In der Industrie kommt der Veränderungsschub vom Internet der Dinge. Produzierende Betriebe entwickeln sich immer stärker zu Softwareunternehmen. Ist das eine Herausforderung für traditionelle IT-Firmen?

Im Gegenteil. Wir erhoffen uns viel von diesem Trend. Denn produktionsspezifisches Know-how im Zusammenspiel mit Bestrebungen zur Automatisierung von Prozessschritten ist auch für IT-Unternehmen eine lohnende Sache, wenn die Verbindung zu ERP-Programmen wie Abacus erfolgreich gelingt. So entsteht eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Bei «Zukunft Ostschweiz» wurde der Begriff der «softurbanen Ostschweiz» eingeführt. Dieser verbindet eine ­urbane Haltung mit einem Lebensraum, der mehr Vielfalt und Nähe zulässt als die Dichte städtischer Zentren. Das Silicon Valley ausserhalb San Franciscos startete auch einmal ähnlich. Kann das ein Vorbild für die Ostschweiz sein?

Absolut. In St. Gallen haben wir ja bereits das «Steinach Valley», in dem sich mehrere Softwarefirmen angesiedelt haben und bereits seit vielen Jahren mit ihren Produkten und Dienstleistungen schweizweit erfolgreich sind. Beste Beispiele sind Unternehmen wie Abraxas, Namics, Nest/InnoSolv, Sorba, Haufe-umantis und Adcubum. Laut «IT St. Gallen rockt» werden in der Wirtschaftsregion St. Gallen-Bodensee bereits knapp 2 000 ICT-Unternehmen mit rund 20 000 Beschäftigten gezählt. Das macht die Region zu einem der attraktivsten Schweizer Standorte für die IT-Branche, zumal hier auch der wichtige Aspekt der hohen ­Lebensqualität nicht zu kurz kommt.

Vor drei Jahren forderte die IHK eine IT-Bildungsoffensive. Anfangs 2019 wird darüber abgestimmt. Weshalb ist es wichtig, dass die Stimmbürger der IT-Bildungsoffensive zustimmen?

Abgesehen von den Steinen und Felsen des schönen Alpsteingebiets bleibt der Ostschweiz an grauer Materie als natürlicher Ressource allein die Gehirnmasse der hiesigen Leute. Diese optimal zu nutzen und zu fördern, sollte für die Ostschweiz essenziell und unser aller Anliegen sein.

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